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Charlotte Und Die Geister Von Darkling

Charlotte Und Die Geister Von Darkling

Titel: Charlotte Und Die Geister Von Darkling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Boccacino
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kühlen Luft.
    »Vielleicht habe ich mich in der Zeit vertan   …«, sagte ich unsicher. Ich nahm seine Hand ganz fest in meine und begann zwischen die niedrigen Obstbäume hineinzugehen. »Wir müssen deinen Bruder finden.«
    Paul blieb schweigsam, als wir dahinschritten. Seine Fingerknöchel waren weiß, als er auf die Schatten zwischen den Reihender Bäume blickte, die sich uns in gieriger Erwartung entgegenzustrecken schienen.
    »Ist das der Ort, von dem du geträumt hast?«
    Paul zitterte in der kalten Luft, starrte auf den mächtigen Mond am Himmel und schüttelte langsam seinen Kopf.
    »Nein. Da war ein Obstgarten, aber er sah anders aus.«
    Normalerweise wäre mein Interesse an solch einem plötzlichen Wechsel der Landschaft – und offenbar auch der Zeit – sehr groß gewesen, aber ich sorgte mich um James. Mein Herz begann, mir heftig in den Ohren zu hämmern und in meinem Körper zu pochen, dass er unter jedem Schlag zu erzittern schien. Ich wehrte mich gegen die Panik. Stattdessen spürte ich, dass ich die Dinge um mich herum klarer wahrnahm; die Luft, die Nebelschwaden hinter einem fernen Baum, das Rascheln der Zweige hinter uns, die Bewegung der Schatten in unsere Richtung. Ja, die gesamte äußerst fremdartige Natur des Ortes, zu dem uns Pauls Karte geführt hatte, drängte sich mir in aller Klarheit auf.
    »James!«
    Weder schallte meine Stimme durch die Luft, noch hörten wir das Geräusch unserer Schritte auf dem harten, kalten Boden. Dennoch hörte ich nicht auf zu rufen, bis meine Stimme heiser war. Ich zog Paul mit mir, dem jedes Mal der Atem stockte, wenn er zurück in die Richtung blickte, aus der wir gekommen waren, und nichts als eine undurchdringliche Dunkelheit sah. Die Finsternis war so undurchsichtig und fühlbar wie der Nebel, der uns bei unserer Ankunft in diesem seltsamen finsteren Land empfing. Sie wuchs um uns und hinter uns und schob uns auf ein Ziel zu, an das keiner von uns zu denken wagte.
    »Charlotte   …«
    »Wir kehren um, sobald wir deinen Bruder finden.«
    Ich hielt auf einem breiten Weg an. Das schien die Hauptdurchfahrt zu sein. Ich blickte in beide Richtungen und überlegte, in welche James gelaufen sein könnte. Hinter mir drückte sich Paul an den nächsten Baum, als wolle er sich vor der kriechenden Dunkelheit verbergen. Dünne Äste und Zweige knackten und brachen rings um seinen Körper, und sein Kopf streifte eine tief hängende Frucht heftig genug, dass sie abriss. Sie fiel in seine Hände.
    Sie war etwa von der Größe und Form einer Grapefruit. Er schien zu spüren, dass etwas nicht stimmte, denn er sah voll Furcht zu mir hoch. Die Frucht zitterte und begann, sich mit einem matschigen, berstenden Ton von innen heraus aufzurollen. Ein Geruch von Pfirsichen lag in der Luft, als das Ding in seinen Händen seine Arme und Beine aus dem fleischigen Inneren löste und seinen Kopf von der Haut losriss. Ein Babygesicht blinzelte uns mit blassblauen Augen an. Paul ließ es mit einem Ausdruck absoluten Entsetzens fallen und wich zurück. Er starrte wie gelähmt auf das Ding, das auf den Rücken fiel, geschützt durch die einstige ledrige Haut der Frucht.
    Es lächelte ihn mit scharfen Zähnen an.
    Paul stieß einen spitzen, durchdringenden Schrei aus, der die letzten Fetzen seiner jugendlichen Beherztheit und Neugier fortfegte und seine Beine mit panischem Leben erfüllte. Er schoss an mir vorbei. Er wich den Bäumen aus, ohne sie, oder gar die Früchte, direkt anzusehen, aus Angst, sie könnten den Blick erwidern. Seine schreiende Stimme schallte nicht durch die Luft; sie fand keinen Widerhall, stieß nur in ihn selbst zurück wie der Schnabel eines Geiers, der von toten Dingen lebt. Es war, als verschlinge sie seine letzte Hoffnung, jeden vernünftigen Gedanken, jeden Instinkt außer dem einen, der ihm riet, zu laufen, so lange seine Beine ihn trugen.
    Ich hastete hinter ihm her, immer seiner Stimme nach, auch wenn die Bäume sie dämpften. Doch da er geradeaus lief, konnteich ihn schließlich einholen, als er am Ende des Obstgartens keuchend vor einem großen, prachtvollen Haus innehielt.
    Die Haustüren des Anwesens standen offen, und gegen das Licht, das ebenso ruhelos über die Schwelle fiel, wie die Dunkelheit im Obstgarten wogte, hob sich eine Frau ab. Selbst aus der Entfernung war sie groß und königlich. James war bei ihr und klammerte sich um ihre Mitte, als sie langsam und mit Bedacht die Stufen herabglitt. Die wunderschöne Traumgestalt strich Paul mit

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