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Charlotte Und Die Geister Von Darkling

Charlotte Und Die Geister Von Darkling

Titel: Charlotte Und Die Geister Von Darkling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Boccacino
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Gobelins zeigten ein Zimmer, in dem sich eine Schar seltsamer Wesen versammelt hatte, die vielleicht irgendeiner obskuren Mythologie oder Religion entstammten,mit der ich nicht vertraut war. Je länger ich auf den Stoff blickte und die komplexen Muster betrachtete, desto deutlicher erkannte ich, dass sie sich veränderten. Die Wandbehänge stickten sich neu, von links nach rechts, und formten neue Figuren, bis ich mich selbst und die Kinder als sorgfältig ausgearbeitete Stickereien wiedererkannte. Es wurde offensichtlich, dass die Frau, die sich als Lily Darrow ausgab, nicht einmal die ungewöhnlichste Bewohnerin des Hauses wäre, wenn ihre Geschichte der Wahrheit entsprach.
    Ein kurzarmiger Kronleuchter hing von der Decke und verbreitete ein mattes gelbliches Licht. Ich saß auf der Kante eines dicken ledernen Lehnsessels, darauf bedacht, mich nicht so weit zurückzulehnen, dass es mir schwer fallen würde, aufzuspringen, sollte sich die befremdliche Situation weiter meiner Kontrolle entziehen – was ich keinesfalls zulassen würde. Verwirrt stellte ich fest, dass die Polsterung größer wurde, als wollte der Sessel auch gegen meinen Willen versuchen, es mir bequem zu machen. Konnte man ein Möbelstück verärgern? Ich trat mit meinem rechten Fuß gegen das Bein hinter mir. Sofort nahm der Sessel seine Ausgangsform wieder ein.
    Bevor sich Mrs. Darrow setzte, berührte sie drei der Paneele an der Wand. Jedes öffnete sich und offenbarte verschiedene Bestandteile eines Gedecks für den Nachmittagstee. Sie nahm Tassen und einen dampfenden Topf aus dem ersten, ein Stehtablett mit Schnittchen und Brötchen aus dem zweiten, einen Schokoladenkuchen aus dem letzten.
    Ich wehrte mich gegen ein plötzliches Sympathiegefühl, als ich sah, dass der Kuchen der gleiche war, den Mr. Darrow beim Mitternachtstee auf seinem Teller gehabt hatte. Und wie ihr Mann ließ sie ihn ebenso auffällig unberührt am Rande des Tisches stehen. Vor meinem inneren Auge sah ich sie beide in verschiedenen Häusern sitzen, Mr. Darrow in Everton und Lily andiesem Ort, den sie Darkling nannte. Beide starrten sie auf die leeren Stühle, in einer quälenden Stille, mit Teekuchen auf ihren Tellern, die wie Opfergaben an Erinnerungen wirkten, die noch nicht erloschen waren.
    Ich beobachtete die Buben eingehend, als sie neben der Frau, die behauptete, ihre Mutter zu sein, auf dem Plüschdiwan vor dem steinernen Kamin saßen. Die Flammen veränderten ihre Form und warfen die Schatten zuckender Tiergestalten auf die rückwärtige Wand. Die Kinder bestaunten den Trick lange, bis ihnen schließlich die Augen zufielen, während die angebliche Mrs. Darrows ihrerseits mich beobachtete. Ihre Augen funkelten im Feuerschein, gefährlich und silber-grün wie die einer Katze.
    »Ihr Tee wird kalt.« Beide Buben waren fast eingeschlafen auf ihrem Schoß; selbst Paul, der eigentlich zu alt dafür war, auf dem Schoß der Mutter zu sitzen.
    Ich blickte auf den Teller und hob die Tasse an die Lippen, wobei ich darauf achtete, dass sie geschlossen blieben, so dass nichts von der Flüssigkeit in meinen Mund gelangen konnte. Ich fühlte, dass meine Lage bereits ungünstig war, wenn uns die Frau wirklich schaden wollte, das durfte ich nicht vergessen. Und wenn ich wahrhaftig mit einer toten Frau im Salon saß, in einem fremdartigen Land voller Schatten, die krochen, und mit Früchten, die Arme und Beine hatten, dann wollte ich wenigstens nicht einer möglicherweise vergifteten Tasse Tee zum Opfer fallen.
    Ich setzte die Tasse wieder ab und stelle sie zurück auf den Teller auf meinem Schoß. Die andere Frau wandte ihren Blick von mir und starrte ins Feuer.
    »Geht es meinem Mann gut?« Der Klang ihrer Stimme war emotionslos und schwer zu deuten. Er erinnerte mich an den von Paul.
    Ich überlegte, bevor ich antwortete. Eine vage, nichtssagendeAntwort mochte weitere Fragen herausfordern, aber eine ausführliche würde vielleicht auf eine tiefere Beziehung hindeuten, als der Fall war.
    »Ich bin jetzt seit neun Monaten bei Ihrer Familie, und in dieser Zeit habe ich Ihren Mann als zwei sehr verschiedene Menschen kennen gelernt. Der eine Mann lächelt, wenn jemand etwas Kluges sagt, und isst mit demselben Heißhunger wie der Gärtner. Aber dann gibt es Zeiten, da sieht er etwas, entweder im Haus oder in den Buben, das seine Gedanken fortwandern lässt. Er ist mein Arbeitgeber, und ich maße mir nicht an, ihn zu kennen, so wie man einen Freund kennt. Aber wann immer er in diesen

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