Charlotte Und Die Geister Von Darkling
Blick, der, wie ich glaubte, ziemlich hart und hitzig geworden war, denn sie seufzte, und ihr selbstsicheres, Achtung gebietendes Auftreten schwand dahin. Sie faltete ihre Hände wie die Frau in dem Porträt, und eine Spur Verzweiflung war in ihrem Blick.
»Bitte. Ich bin zu euch zurückgekommen.« Sie machte einen Schritt nach vorn, und die Jungs drückten sich fester an mich. Die Frau hielt an und lächelte schwach. »Ich nehme an, ich hätte es wissen sollen. Ich war schon so lange von euch beiden fort.«
»Und von Vater.« Paul ließ mich los, aber er hielt Abstand zu der anderen Frau. Er sprach mit einer Spur Schärfe. Bei der Erwähnung Mr. Darrows blickte die Frau rasch und beinah angstvoll zum Haus zurück und wandte sich dann wieder Paul zu.
»Bitte, seid mir nicht böse. Ich wollte euch nie verlassen, deshalb bin ich ja zurückgekommen. Ich wäre so gern wieder in Everton, aber es gab … Regeln, an die ich mich halten musste.«
»Komm jetzt nach Hause.« James ließ mich los und stellte sich an die Seite seines Bruders. Die Frau schüttelte den Kopf.
»Hier ist jetzt mein Zuhause, und ihr seid hier immer willkommen.« Dabei deutete sie auf das große Haus hinter sich. Die Buben blickten einander an und dann zu mir, aber ich war keineswegs überzeugt.
»Vergeben Sie mir meine Skepsis«, sage ich und bemühte mich, das brennende Fleisch und das kochende Blut unter meiner Haut zu beherrschen. »Aber wie können wir sicher sein, dass Sie wirklich Lily Darrow sind und nicht eine Betrügerin, die uns schaden will?«
»Ich sehe, dass mein Mann eine gute Wahl getroffen hat.« Sie hielt vielsagend inne, und ich verstand sie sehr wohl. »Wenn das meine Absicht wäre, würde ich Sie wohl kaum bitten, mir meine Geschichte zu glauben. Hätte ich nicht viel eher etwas getan, das für Ihre Meinung spricht?«
»Ich maße mir nicht an, die Beweggründe der Toten zu verstehen.«
»Eine weise Entscheidung. Dann glauben Sie mir also?«
Ich bedachte sie mit einem kalten Blick und wechselte das Thema. »Dieser Ort ist schwerlich für Kinder geeignet.«
»Wie können Sie so sicher sein? Sie waren noch nicht drinnen. Das Haus Darkling kann alles sein, was man daraus machen möchte.« Zu meiner Bestürzung gewann sie ihre Zuversicht wieder zurück. Eine Spur Lächeln über ihre eigene Klugheit spielte um ihre Lippen. Ich hatte genug von ihr. Ich drückte die Kinder an mich und begann langsam, in den Obstgarten zurückzugehen. Die Frau rief uns nach. Verzweiflung klang nun wieder in ihrer Stimme, und nur so wollte ich mich ihr stellen. Verzweifelte Menschen machen leichter Fehler.
»Bitte! Geben Sie mir eine Chance, es zu beweisen. Fragt mich irgendetwas, das nur Lily Darrow wissen kann.«
Ich hielt am Rand des Obstgartens an und drehte mich langsam um und zermarterte mir den Kopf nach jedem kleinen Detail, das ich über die verstorbene Frau meines Arbeitgebers erfahren hatte. Paul sprach, bevor ich Worte fand.
»Wie hieß das Lied, das du uns zum Einschlafen immer vorgesungen hast?«
Die Frau lächelte und schloss einen Moment ihre Augen, als lauschte sie auf die Musik des sanften Windes, der durch den Obstgarten zu wehen begann und die Früchte an den Ästen schaukelte.
»›Immer abends in Everton‹. Wir haben es uns gemeinsam ausgedacht, und es war jeden Abend anders, je nachdem, was während des Tages alles geschehen war.«
Das reichte beiden Kindern als Beweis. Sie liefen zu ihrer Mutter zurück und umarmten sie innig, voller Bedauern, dass sie je an ihren Absichten gezweifelt hatten. Ich andererseits begrub meine Zweifel nicht so rasch und blieb vorsichtig, auch wenn die unmittelbare Gefahr vorüber zu sein schien. Wenn jemand starb, konnte er nicht zu seinen Kindern zurückkehren. Aber wenn das für Lily Darrow irgendwie aufgehoben schien – und davon war ich ebenso wenig überzeugt wie davon, dass das alles hier nicht ein aufwändiger Trick war, um sich der Kinder eines reichen Witwers zu bemächtigen – dann fragte ich mich, weshalb das nicht auch einer von meinen geliebten Verstorbenen vermochte? Aus diesen Überlegungen heraus, und nur aus diesen, folgte ich ihnen mit beklemmenden Gefühlen in das große Haus. Ich dachte an jene, die ich verloren hatte, und hoffte wider alle Hoffnung, dass irgendeine Wahrheit in den Worten der Frau lag und dass das Haus mehr als nur eine Seele von Verstorbenen beherbergte.
Der Salon war klein und heimelig. Holzpaneele verkleideten die Wände und kunstvolle
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