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Charlotte Und Die Geister Von Darkling

Charlotte Und Die Geister Von Darkling

Titel: Charlotte Und Die Geister Von Darkling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Boccacino
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einem besorgten Lächeln auf den Lippen übers Gesicht. Alle Panik war aus ihm gewichen, und er schluchzte so laut an ihrer Schulter, dass es nichts mehr zu bezweifeln gab, als er deutlich und ohne Zögern seufzte:
    »Mutter!«

FÜNFTES KAPITEL
    Geschäfte mit den Toten
    Einen Moment lang stand ich keuchend vor dem großen Haus. In meinen Gedanken herrschte Chaos. Ich suchte verzweifelt nach einer Möglichkeit, mit den Kindern zu fliehen. Lily Darrow war tot. Dafür gab es Zeugen und ein Begräbnis. Es gab ein Gemälde, das über dem Schreibtisch im Arbeitszimmer ihres Mannes hing, das Porträt einer schwarzhaarigen Frau mit funkelnden Augen, die gesprungenen Jadesteinen glichen, und einem amüsierten Ausdruck gespielter Überlegenheit. Jenes Bild, vor dem er stundenlang saß, wenn er sich von den Dienern unbeobachtet fühlte. Dennoch war die Ähnlichkeit so verblüffend, dass ich mich von dem Gedanken nur schwer befreien konnte, dass sie möglicherweise doch die verstorbene Mrs. Darrow sein könnte.
    Sie hatten ihren Tod beweint . Was für eine Ehefrau und Mutter würde ihrer Familie die Trauer und den Schmerz über ihren Tod zumuten, wenn sie nicht wahrhaftig tot war? Es war unvorstellbar. Es konnte nur Betrug sein, eine grausame Schwindlerin, die mit den Gefühlen der Kinder spielte. Das würde ich nicht länger zulassen.
    Paul schluchzte an der Schulter der Frau und bat sie weinend um Verzeihung: »Es tut mir leid, dass ich nicht da war, es tut mir so leid   …«, während sie seinen Kopf streichelte und ihn tröstete. Ich wollte auf sie zugehen, als ich die zerknitterte handgezeichnete Karte des Waldes auf dem Boden zwischen den Obstbäumen liegen sah, eine Karte, die aus Fetzen von Träumenentstanden war. Wie konnte jemand den Jungen solcherart beeinflussen, uns in den Wald zu führen? War so etwas überhaupt möglich? Es gab so viele Fragen, und alle wurden von dem einen Gedanken überschattet, den ich nicht ignorieren konnte. Leise, aber nachdrücklich sagte ich: »Niemand kommt je zurück.«
    James, der seinen Kopf an das Kleid der Frau geschmiegt hatte, hob sein Gesicht und blickte sie lange an, bevor er mit einem verwirrten Gesichtsausdruck meinen bittenden Blick erwiderte. In seinen Augen konnte ich erkennen, dass er überzeugt war, die Frau, an die er sich klammerte, sei seine Mutter.
    Paul machte keine Anstalten, sich von ihr zu lösen. Alles, was er erhofft hatte, war Wirklichkeit geworden. Er war aus seinem Alptraum erwacht, und alles war nur ein schreckliches Missverständnis gewesen. »Aber sie hat es getan. Sie ist wieder am Leben.«
    Die Frau fuhr mit den Fingern durch Pauls Haar und hob sein Kinn, so dass sie in seine Augen blicken konnte. »Nein, mein lieber Junge, das bin ich nicht.«
    Das Glück schwand aus seinem Gesicht. Langsam wich er vor ihr zurück und zog seinen kleinen Bruder mit sich. Ich packte sie beide an den Schultern, ein wenig gröber als beabsichtigt, und hielt sie eisern fest.
    Das große Haus vor uns war einladender als die beängstigende Dunkelheit des Obstgartens, wo sich die Schatten zuckend über den Boden wanden, aber ich würde nicht zögern, diesen Fluchtweg zu wählen. Ich betrachtete die Frau, die sich als Lily Darrow ausgab. Wenn man mich fragte, würde ich leugnen, dass ich auch nur im Entferntesten an Geister glaubte, aber was war dann wohl der Mann in Schwarz? Ein geheimnisvoller Totengeist, der Leichen begleitete, war ebenso unwahrscheinlich wie die Wiedererweckung einer zu früh verstorbenen Mutter. War sie eine Betrügerin, ein Geist oder etwas ganz anderes?
    Mein Herz schien seinen Halt verloren zu haben und in mir hinabzustürzen, und mir wurde mit einigem Widerwillen klar, dass ich in Kürze auf eine Weise in Panik geraten würde, wie ich es bei anderen Frauen gesehen hatte, wie es vielleicht von mir erwartet wurde. Ich weigerte mich, in Ohnmacht zu fallen. Das Blut hämmerte gegen meine Schläfen, und die beängstigende Leere, die ich in mir spürte, begann anzuschwellen und sich zu etwas Festem und Greifbarem zu wandeln. Den Kindern würde nichts geschehen – ich würde es nicht zulassen, würde nicht zögern zu handeln, würde auch vor Gewalt nicht zurückscheuen, wenn es notwendig werden sollte. Dies war ein ganz seltsames Gefühl, wie ich es nie gekannt hatte. Wir befanden uns in Gefahr, in echter Gefahr, und es war so befriedigend, zu wissen, dass ich dieser Herausforderung gewachsen war.
    Vielleicht sah die Frau diese Furchtlosigkeit in meinem

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