Charlotte Und Die Geister Von Darkling
Zustand gerät, dann habe ich den Eindruck gewonnen, dass er an Sie denkt. Dann gibt er sich einer Traurigkeit hin, und ich glaube, dass er immer diese zweigeteilte Person bleiben wird. Die eine ringt um Lebensfreude, die andere versinkt in Kummer.«
Mrs. Darrow wandte den Blick nicht vom Feuer ab. Ihre Brust hob und senkte sich in der unbehaglichen Stille, die nur von den Umgebungsgeräuschen des Zimmers unterbrochen wurde – die Funken prasselten im Kamin, die Standuhr schlug, etwas schlurfte über den Boden in einem der oberen Zimmer des großen Hauses. Ich hob meine Tasse erneut an den Mund, gab vor zu trinken und setzte sie wieder ab.
»Sie sind sehr gründlich, Mrs. Markham.«
»Man hat mir schon immer gesagt, dass ich eine sehr neugierige Frau wäre. Ich betrachte das als Kompliment. Die kleinen Details des Lebens haben mich schon immer fasziniert. Wie auch die des Todes.« Ich stellte meine Tasse auf den Tisch zwischen uns und erhob mich, um durch das Zimmer zu gehen. Ich entdeckte ein Bücherregal voll obskurer Schriften, deren Titel in einer fremden Sprache waren, die mir gänzlich unbekannt war. Ich strich mit den Fingern liebevoll darüber und drehte mich zuMrs. Darrow um. »Ein solches Detail, das meine Neugier gegenwärtig ganz besonders weckt, ist der Umstand, dass ich ein Gespräch mit der verstorbenen Gemahlin meines Arbeitgebers habe.«
Die Frau lächelte, und die stoisch bewahrte Haltung, die sie bis jetzt bei ihrem Auftreten gezeigt hatte, schmolz ein wenig dahin. Sie wand sich behutsam unter den Kindern heraus und ging zum Kamin, eine dunkle Silhouette, deren Augen im Feuerschein leuchteten.
»Sie hatten Recht, mir zu misstrauen.«
»Die Kinder glauben Ihnen. Wer bin ich, dass ich Ihnen widersprechen könnte? Aber Sie sind schließlich gestorben.«
»Das bin ich.«
»Und wie ich schon zuvor sagte: Niemand kehrt je zurück .«
»Und doch bin ich hier.«
»Aber warum Sie?«, fragte ich ruhig und hoffte, die neidvolle Neugier zu verbergen, der meine Zuversicht gewichen war.
Sie wandte den Blick nicht vom Feuer, als sie fortfuhr.
»Anfangs, als ich krank wurde, sagte ich allen, die mir zuhörten, dass ich meine Krankheit besiegen und nur eine volle Genesung akzeptieren würde, weil Gott mich prüfte. Ich hielt mich an die Ratschläge des Arztes: Ich nahm weiter meine gesellschaftlichen Verabredungen wahr, ich aß gut, trieb regelmäßig Sport, und dennoch wurde ich jeden Tag schwächer.
Vom Essen begann mir übel zu werden, und ich vermochte bald nicht mehr aus eigener Kraft zu stehen. Ich war schließlich ans Bett gefesselt und siechte langsam dahin, bis ich nur noch Haut und Knochen war. Die Leute kamen zu mir ans Bett und flüsterten mir aufmunternde und ermutigende Worte zu, doch das war kaum tröstlich, als ich erblindete, und noch weniger, als ich auch das Gehör verlor.
Man könnte denken, dass ein Mensch in solch einem Zustandin der Dunkelheit verloren wäre. Aber ich konnte noch fühlen. Ich konnte noch riechen. Ich wusste, wenn meine Familie bei mir war, wenn Henry mich auf die Stirn küsste oder eine Haarsträhne aus meinem Gesicht strich, wenn James meine Hand in seine nahm und mir Gesellschaft leistete, so wie ich auch wusste, dass Paul es nicht über sich brachte, mich in diesem Zustand zu sehen. Ich wusste, dass ich sterben würde und dass sie mich vermissen würden, doch der Tod war etwas, dass ich mit jedem Tag mehr und mehr herbeisehnte.
Das Atemholen fiel mir immer schwerer, und das trieb mich fast in den Wahnsinn. Selbst in meinem Delirium entging mir nicht die Ironie, dass etwas, das einen mit Leben erfüllt, das Unerträglichste im Leben werden konnte. Die Abstände zwischen jedem Atemzug wurden länger und länger, wie Geburtswehen für meinen eigenen Tod, bis ich endlich aufhörte.
Ich erkannte, dass ich gestorben war, als ich die Augen öffnete und sehen konnte. Vor mir stand ein völlig unauffälliger und bedeutungsloser Mann in einem schwarzen Anzug und einer Melone und streckte mir seine Hand entgegen. Er sagte nichts, aber das brauchte er auch nicht. Ich wusste, wer er war und was er von mir erwartete. Befreit von der Krankheit fühlte ich mich wie wiederbelebt, erleichtert fast, und dennoch … etwas flüsterte mir zu, eine Stimme aus dem Ort zwischen Leben und Tod. Sie sprach zu mir, während der Tod schwieg, und sagte mir, dass zu jeder Regel auch Ausnahmen möglich waren. Sie erzählte mir die Geschichte meines Lebens, eine, die nicht mit einer
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