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Charlotte Und Die Geister Von Darkling

Charlotte Und Die Geister Von Darkling

Titel: Charlotte Und Die Geister Von Darkling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Boccacino
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verlass uns nicht!«
    Lily und ich blickten einander an, und ich suchte tief in mir nach einer Antwort, die ich nicht eines Tages bedauern würde. Ich zweifelte nicht daran, dass der Umgang mit den Toten nicht ohne Konsequenzen blieb. Aber war es nicht auch eine Chance, so viele Dinge zu lernen? Der Schleier des Todes hatte sich für diese vornehme, schöne Frau gelüftet, die durch solch ein jammervolles Ende auf eine Weise zerbrochen worden war, dass ihr vielleicht selbst die Kinder keine Erlösung bringen konnten. Gab es noch andere wie sie? Ich versuchte, den Gedanken zu unterdrücken, aber es war bereits zu spät. Er weckte Bilder von Jonathan und meinen Eltern.
    Insgeheim bewunderte ich die Kraft Lily Darrows, die Gesetze des Daseins umzustoßen, um einen Weg zurück vom Tod zu finden und um ihre Kinder zu kämpfen. Es lag eine große Kraft insolch einer Liebe, solch einer Überzeugung, solch einer Hingabe. Und gleichzeitig: Welche Verzweiflung, welche Hartnäckigkeit, den unabwendbaren Lauf der Dinge zu verleugnen, drückte sich darin aus. Ich konnte das Versprechen, das ich ihr nun geben würde, weder ihr noch den Kindern noch meiner eigenen Neugier verwehren, auch wenn ich mir der Gefährlichkeit dieser Zusage durchaus bewusst war: »Das ist nicht der letzte Besuch, und ich glaube, dass wir eure Mutter sehr bald wiedersehen werden.«
    »Kann sie nicht mit uns nach Hause kommen?« James schob die Unterlippe vor. Seine Augen füllten sich mit Tränen.
    »Oh, mein kleiner Liebling, ich wünschte mir so sehr, dass ich das könnte. Aber hier ist jetzt mein Zuhause.«
    »Können wir nächstes Mal Vater mitbringen?«
    »Nein, Paul, ich fürchte, das dürft ihr nicht.«
    »Warum nicht?«
    »Es ist fast so etwas wie ein Zauber, dass ich bei euch sein kann. Aber wenn ihr es eurem Vater erzählt, dann hört er auf zu wirken. Versteht ihr?«
    Beide Buben nickten und umarmten ihre Mutter, schlangen die Arme fest um ihren Hals. Sie küsste jeden von ihnen heftig auf die Lippen und schob sie dann zu mir.
    »Mrs. Markham, es war wirklich ein Vergnügen, Sie kennenzulernen.«
    Ich nahm die Hände der Kinder in meine und drückte sie auf der Suche nach weiterer Bestätigung.
    »Ganz meinerseits, Mrs. Darrow.«
    »Bitte, nennen Sie mich Lily.«
    Die Frau geleitete uns aus dem Salon in die Eingangshalle des Hauses Darkling. Viele Stockwerke über uns sah ich jemanden am Geländer der Treppe lehnen, der in der Düsternis rauchte und uns beobachtete. Doch bevor ich diese Beobachtung verarbeiten konnte, gingen die Türen auf, und die feuchte, kühle Luftdes Obstgartens empfing uns. Lily küsste mich herzlich auf die Wange und schob uns durch die Tür hinaus.
    »Bitte kommt wieder, sobald ihr könnt.«
    Die Buben winkten ihrer Mutter zum Abschied zu. Dann stapften wir den Hauptweg zwischen den Bäumen hinab. Etwas heulte in der Ferne. Der Laut verklang in der kalten Luft. Wir schritten in die Dunkelheit und durch die vertraute Nebelwand und kehrten zurück in den Sonnenschein und die Welt der Lebenden.
    An diesem Abend hatte ich größte Mühe, die Kinder ins Bett zu kriegen. James sang und pfiff und schien nicht müde zu werden. Er hüpfte auf seinem Bett herum und befleißigte sich einer solchen Lautstärke, dass ich schließlich gezwungen war, ihm eine uralte Form einer indischen Tortur anzudrohen, die ich als junges Mädchen in Asien kennengelernt hatte. Dies löste die unvermeidlichen Fragen nach meinem überseeischen Leben aus, und bald überwog die Neugier die Begeisterung über ihre wiedergefundene Mutter, und sie lauschten meinen Erzählungen über den Fernen Osten, bis ihnen die Augen zufielen.
    Ich verließ das Kinderzimmer und tupfte mir mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn. Ich wollte gerade ins Klassenzimmer gehen, um den Stundenplan für den kommenden Tag auszuarbeiten, als ich erkannte, dass ich nicht allein auf dem Korridor war.
    »Mrs. Markham.«
    Ich erschrak, dann lachte ich über mich. Ich war in Gedanken so in den seltsamen Ereignissen des Tages versunken gewesen, dass ich Mr. Darrow hinter mir nicht bemerkt hatte. Der fahle Schein der Gaslichter durchflutete sein blondes Haar. Er war ein hochgewachsener Mann mit schlankem Körper und einem distinguierten, klaren Gesicht, auf das mehr die Bezeichnung schöndenn gutaussehend zutraf. Die Art und Weise, wie sein Haar in der Dunkelheit leuchtete, verlieh seiner Erscheinung etwas Engelhaftes.
    »Mr. Darrow! Ich muss mich entschuldigen, ich habe Sie

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