Charlotte Und Die Geister Von Darkling
Frau auf dem Krankenbett endete.
Der unscheinbare Mann in dem gewöhnlichen schwarzen Anzug begann zu verblassen und in einem Korridor aus Licht zu verschwinden. Die Stimme hingegen wurde kräftiger, bis eine Hand erschien, die mich irgendwo anders hinführte … an einen Ort für die Dinge, die nicht sterben .«
Ich spürte einen kalten Schauder. Ich stand nah am Fenster. Es war, als drückte die Dunkelheit draußen dagegen. Das Glas schien sich stöhnend zu biegen.
»Und jetzt stehen Sie hier«, flüsterte ich.
»Kinder brauchen ihre Mütter, kleine Jungs ganz besonders.«
Bei dieser Redewendung stockte ich. Der alte Alptraum vom Tod meiner Mutter kam mir in den Sinn, ebenso die Stimme der geheimnisvollen Frau aus meinem Traum, die, wie jetzt offensichtlich wurde, wie die von Mrs. Darrow klang. Mein Herz schlug heftiger mit einer Mischung aus Wut und Furcht. Ich ging zu den schlafenden Kindern.
»Die Kinder können nicht hier bleiben. Es ist nicht sicher.«
»Nichts auf diesem Anwesen würde den Kindern ein Leid zufügen.«
»Und ihrer Gouvernante?«
Mrs. Darrow, die ich nun nicht länger für jemand anderen hielt, trat zu mir und legte ihre Hand auf meine. Sie fühlte sich warm an, wärmer als die jeder anderen lebenden Person, der ich je begegnet war. Ich blickte auf die schlafenden Kinder zwischen uns, und ich entspannte mich einen Augenblick.
»Ich werde niemandem etwas zuleide tun«, sagte sie.
Ich blickte der Frau prüfend in die Augen. Etwas Ernsteres, Stilles hatte die katzenähnlichen Eigenschaften abgelöst. Plötzlich erschien mir ihr Eindringen in meinen Traum eher traurig als bedrohlich.
»Ich habe von Ihnen geträumt. Sie haben uns hierher gelockt.«
»Ich tat nur, was ich tun musste, um meine Kinder wiederzusehen.«
»Was wollen Sie denn von ihnen?«
»Mehr Zeit.«
»Wozu? Sie sind gestorben, und es kann nicht gesund für siesein, ihrer Mutter irgendwo zwischen Leben und Tod wiederzubegegnen.«
»Ist es denn schlimmer, als ihnen zu erlauben, ohne mich aufzuwachsen? Sie sind eine professionelle Erzieherin, eine Betreuerin. Sie müssen doch gesehen haben, was mit Jungs passiert, die ihre Mütter verloren haben.«
Scharen von herzlosen, vulgären kleinen Jungs zogen vor meinem inneren Auge vorbei, prügelnd und brüllend, stehlend und spuckend, die nicht einmal davor zurücksckreckten Küchenmädchen in der Nacht Gewalt anzutun …
»Das lässt sich vermeiden.«
»Ja, das ist wahr. Und deshalb bin ich hier. Sie brauchen nicht auf mich zu verzichten. Ich muss nicht für immer fort sein.«
Ihre Hand ließ mich los und umfasste verzweifelt mein Handgelenk.
»Sie waren nie wirklich fort.«
Mrs. Darrow ließ mich los und blickte wieder ins Feuer. Die Flammen leckten an den verkohlten Holzstücken, die sich zu etwas aufgetürmt hatten, das einem Haus ähnlich sah.
»Ich möchte, dass sie mich besuchen, wenn es möglich ist. Die Zeit vergeht hier anders, und es würde so sein, als ob sie nie fort gewesen wären. Mein Mann würde es gar nicht merken.«
»Ihn möchten Sie nicht sehen?«
»Er darf es nicht wissen.«
»Er ist verloren ohne Sie.« Meine Kehle war wie zugeschnürt, als ich das sagte.
»Sie dürfen ihm nichts sagen!« Die Stimme der Frau wurde schrill. Die Buben wachten erschrocken auf.
»Mutter?«
Mrs. Darrow war bei ihnen, bevor sie ihre Köpfe heben konnten, und küsste ihre Gesichter zärtlich, als sie sie vom Diwan aufhob. Ich war wohl auf etwas Wichtiges gestoßen, vielleicht sogaretwas Machtvolles. Etwas, das sie fürchtete. Und ihre Gefühle für ihren Mann waren offenbar kompliziert. Plötzlich war die Situation überschaubar geworden. Die Frau war nicht anders als andere Personen auch und konnte manipuliert werden, wenn es sich als notwendig erweisen sollte. Ich hatte eine Abgebrühtheit in mir entdeckt, die mich überraschte. Eine derartige Gerissenheit entsprach im Grunde gar nicht meiner Natur, aber ich war auch nie zuvor mit solch einer gefährlichen Situation konfrontiert worden. Ich fragte mich, ob die Person, in die man sich angesichts einer Gefahr verwandelte, das wirkliche Ich war, oder ob es sich dabei nur um eine Maske handelte, die man aufsetzte, um zu überleben. Wieder durchlief mich ein Schauder.
Die Frau blickte von den Buben zu mir und schenkte dann ihren Kindern ein liebevolles Lächeln.
»Ich fürchte, ich bin sehr müde geworden. Wir müssen den Besuch jetzt beenden.«
»Aber Mutter, wir sind gerade erst gekommen!«
»Bitte,
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