Charlotte Und Die Geister Von Darkling
dankbar, dass er nicht bewohnt war. Die nächste Tür war diegesuchte. Doch auch nachdem ich alles erledigt hatte, stellte sich die ersehnte Schläfrigkeit nicht ein.
Normalerweise pflegte ich in so einer Situation zu lesen bis ich einschlief, aber mir war nicht in den Sinn gekommen, ein Buch mitzubringen. Ich dachte an die große, beeindruckende Bibliothek am anderen Ende des Hauses. Es konnte doch nicht allzu schwer sein, den Weg dorthin zu finden? Es stimmte zwar, dass das Haus unheimlich und beängstigend war, doch es hatte sich bisher eher als sonderbar denn gefährlich erwiesen. Außerdem hatte ich eine größere Chance, hinter die Kulissen zu blicken, wenn ich mich allein umsah. Ich würde mir einfach einen oder zwei Bände aus der Bibliothek holen und in mein Zimmer zurückkehren.
»Könntet ihr mich bitte zur Bibliothek führen?«, flüsterte ich dem Anführer der Kerzenmänner zu. Er nickte sofort und schritt voran die große Treppe hinunter.
Ich konnte mich den kleinen Geräuschen aus allen Ecken des Hauses nicht entziehen. Tropfendes Wasser, etwas Schweres, das über unebene Bodenbretter geschleift wurde, klapperndes Geschirr. Keines war sehr laut, aber alle zusammen klangen, als herrsche emsige Geschäftigkeit hinter jeder der Türen, an denen ich vorüberkam.
Die Geräusche folgten mir durch das Stiegenhaus mit seinen ovalen Fenstern, die Ausblick über das Anwesen boten. Das Metalltor am Eingang war im Nebel kaum zu sehen, aber noch immer geschlossen. Ich öffnete die Türen am Ende des Korridors und betrat die Bibliothek. Die Wachsmänner wurden offenbar von der großen Menge Papier davon abgehalten, ebenfalls einzutreten.
Ich hatte im Grunde keine Vorstellung, wonach ich suchen sollte. Die Titel der Bücher im Salon waren nicht einmal in englischer Sprache gewesen. Aber ich schätzte, wenn Mrs. Darrow sie lesen konnte, würde auch ich dazu in der Lage sein. Der erste Ring der Bibliothek war bei weitem der größte, und dort fing ich an. Jedes der Regale war mit kleinen silbernen Schildern versehen; einige mit vertrauten Themen beschriftet, wie Landwirtschaft, Astrologie und Astronomie, andere handelten von abstrakteren Interessensgebieten wie Tod, Demagogie und Dämonologie. Ich hielt vor einem der größeren Abschnitte bei J mit der Bezeichnung Jeder Ort, den es gibt . Ich interpretierte das als Reisen und nahm ein Buch mit dem Titel Balthasar heraus.
Ich schlug den Einband auf der Suche nach einer Inhaltsbeschreibung auf, fand jedoch nur Zeilen einer kunstvollen Schrift in einer Sprache, die ich nicht verstand. Aber das schien nichts auszumachen. Die Bibliothek verschwand vollkommen, und ich fand mich mit dem Buch in der Hand auf einem niedrigen Küstenfelsen wieder und blickte auf einen weiten Sandstrand hinab. Ich stürzte fast hinab vor Schock und Verwunderung, fing mich aber rasch. Lily hatte mich vor der trickreichen Art der Literatur des Darkling-Hauses gewarnt. Als ich meine Fassung wiederfand, blickte ich mich um und sah ein prachtvolles rotes Schloss oder eine Festung an einem Klippenrand. Frauen in bunten Kleidern mit pastellfarbenen Sonnenschirmen und Männer in eleganten Anzügen und schwarzen Zylindern flanierten darin. Ein Wind kam vom Meer her und trug den Schrei von Möwen mit sich. Ich schloss das Buch. Die Szene am Strand endete abrupt. Ich wandte mich um und musterte die Bibliothek, doch nichts hatte sich verändert. Ich schob das Buch unter meinen Arm, wobei ich darauf achtete, dass es geschlossen blieb. Dann nahm ich ein weiteres aus dem Regal, eines mit dem Titel Indien . Die Kerzenmänner warteten noch auf mich, als ich wieder auf den Gang hinaustrat.
»Bitte, zu meinem Zimmer zurück.« Sie führten mich aufeinem vollkommen anderen Weg durch das Darkling-Haus. Wir durchquerten einen Zimmerwald mit Knochenästen und erreichten einen so lichtlosen Raum, dass ich Platzangst zu verspüren begann. Ich blieb so dicht bei meinen Führern, dass ich fast auf sie trat, als sie plötzlich anhielten. Sie drängten sich zusammen und löschten sich aus. Ich stand verlassen und voll Furcht in der Kammer, bis ein anderes Licht vor uns erschien.
Ein Kandelaber mit zuckenden Flammen schwebte in der Leere, ohne irgendetwas zu enthüllen. Erst als er näher kam, sah ich die kleine Hand am Messingständer und gleich darauf das verschmitzte Gesicht des jungen Duncan. Einen Moment lang war ich sicher, dass er mich gesehen hatte, doch er setzte wortlos seinen Weg fort. Ein Fremder schritt
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