Charlotte Und Die Geister Von Darkling
auf seinen Schultern, bis sich der Junge einer Gruppe von Kindern anschloss. Sie spielten eine komplizierte Version von Fangen, wobei es hauptsächlich darum zu gehen schien, um die Kirche herum zu rennen und möglichst laut zu schreien.
»Es erstaunt mich immer wieder, dass er so fröhlich sein kann«, meine Mr. Darrow.
»Kinder sind widerstandsfähiger als wir. Aber sie brauchen trotzdem ihre Eltern«, erwiderte ich und erinnerte so Mr. Darrow indirekt an sein unerfülltes Versprechen, mehr Zeit mit seinen Söhnen zu verbringen.
»Sie sind eine sehr weise Frau, Mrs. Markham.«
»Sie schmeicheln mir, Mr. Darrow.«
»Vielleicht sollte ich das öfter tun.«
Wir blickten einander an, versunken in den Augenblick, bis Konstabler Brickner zu uns trat. Mr. Darrow schüttelte enthusiastisch seine Hand, sehr zur Überraschung des Mannes, densolche Freundlichkeit sofort mit Misstrauen erfüllte. Zusammen gingen sie zum Tisch der Larken-Brüder, an dem nicht nur viele verschiedene Biersorten, sondern auch die meisten Männer des Dorfes zu finden waren. Ich fragte nach Susannah, die ich nicht auf dem Basar gesehen hatte, doch auch Lionel hatte seit Stunden nichts mehr von ihr gehört. Mr. Darrows stieß auf Fredericks, der allen anderen in punkto Feststimmung um einiges voraus war. Hier lud Mr. Darrow seinen alten Freund und Vertrauensmann auf ein Bier ein und ließ uns allein des Weges ziehen.
Paul und ich spazierten weiter über das Kirchengelände. Wir entfernten uns von dem Lärmen und Lachen und den Gerüchen des Essens und erreichten den Friedhof. Lily Darrows Grabstein war unverändert seit unserem letzten Besuch, aber jetzt hatte so vieles eine neue Bedeutung gewonnen. Paul fuhr mit den Fingern über die eingravierten Zahlen ihres Todestages.
»Es ist noch immer hier.«
»Was hattest du denn erwartet?«
»Keine Ahnung … vielleicht einen Sprung in der Schrift? Irgendeine … Veränderung.« Wir standen stumm nebeneinander. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich legte ihm eine Hand auf die Schulter, und er fuhr fort zu sprechen.
»Ich wollte sie so sehr wiedersehen. Ich träumte jede Nacht von ihr. Und jeden Morgen, wenn ich aufwachte, wusste ich, dass sie für immer fort war. Das machte mich so traurig, aber es war mir so wichtig, eine Weile so zu tun, als wäre alles in Ordnung. Doch irgendwie ist die Wirklichkeit schlimmer, weil ich Mutter trotzdem verlieren werde. Ich kann sie umarmen, aber sie ist immer noch tot, und Vater ist immer noch allein. Wir können sie nicht nach Hause holen, und alles ist noch immer traurig.«
»Wäre es dir denn lieber, wenn sie nie zurückgekommen wäre?«
»Nein … ich weiß nicht. Ich wünschte mir, dass sich nichts je ändern würde.«
»Aber so ist das Leben. Es muss Veränderung bringen, sonst würden wir ewig stehen bleiben.«
Paul blickte so finster, und die Traurigkeit in seinen hellen blauen Augen wurde der seines Vaters mit jedem Tag ähnlicher. Ich strich mit den Fingern durch sein weiches schwarzes Haar und küsste ihn auf die Stirn.
»Wir müssen nicht zurückgehen, wenn du nicht möchtest.«
»Doch, ich möchte. Ich bin noch nicht bereit, Abschied zu nehmen. Und sie ist es auch nicht.« Paul verließ das Grab seiner Mutter und ging mit freudloser Miene zum Basar zurück. Ich folgte ihm, bis Roland mich entdeckte und freundlich und ein wenig nervös winkte. Er hatte sich für das Fest herausgeputzt und sein dunkles Haar mit einer beträchtlichen Portion Pomade glattzukämmen versucht, aber die wachsartige Substanz verursachte genau das Gegenteil: Seine Haare stellten sich zu unregelmäßig verklebten Stacheln auf, was ihm ein wildes, gleichwohl auf eine Art auch unschuldiges Aussehen verlieh.
»Schöner Basar, was?«
»Ich sehe, Sie haben sich für das Fest herausgeputzt.«
»Ein Kerl muss hin und wieder gut aussehen, sonst taugt er nicht viel. Wie geht es Mrs. Larken?«
»Kann ich nicht sagen. Ich habe sie seit ein oder zwei Tagen nicht gesehen …«
Er lief an mir vorbei auf eine zerzauste junge Frau mit rotem Haar zu. Er fing sie mit einem Arm auf und ließ sie sanft zu Boden gleiten. Ihre Hände bluteten.
»Susannah?«
»Charlotte!« Sie lächelte erleichtert, als sie mich sah, und tätschelte Rolands Arm. »Ich muss euch so viel erzählen!«
»Was ist Ihnen denn um Gottes Willen zugestoßen?«
»Ihr werdet glauben, dass ich verrückt geworden bin …« Sie schlug die Hände vors Gesicht und schmierte sich so das stockende
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