Charlotte Und Die Geister Von Darkling
Blut über die Stirn. Es war schwierig, den Gärtner dazu zu bewegen, von ihrer Seite zu weichen, aber schließlich erklärte er sich zögernd dazu bereit, Lionel zu holen. Mehrfach blickte er jedoch mit besorgter Miene zurück, bevor er unter den Leuten verschwand. Ich führte Susannah in die Kirche, wo sie sich auf einer Bank vor dem Altar niederließ.
»Ich würde Sie niemals für verrückt halten.«
»Dann tut das wenigstens einer von uns nicht.«
»Warum fangen wir nicht von Anfang an? Erzählen Sie mir, was passiert ist.« Sie lehnte sich auf der Bank zurück und ordnete ihr Haar, bevor sie tief Luft holte und zu erzählen begann.
»Ich hatte ein ausgesuchtes Fass Ale für den Herrn Pfarrer zur Seite gestellt. Lionel vergisst sich manchmal, wenn er mit seinen Freunden trinkt, und ich war nicht sicher, ob er sich daran erinnert, dass es reserviert ist, also versteckte ich es zur Sicherheit im Keller der Kirche. Aber als ich hinunterstieg, um es zu holen, hatte sich der Raum verändert , Charlotte. Da befand sich plötzlich eine Tür, wo nie eine gewesen war. Einen Moment lang dachte ich, dass ich einen neuen Raum unter der Pfarrei entdeckt hätte … aber es waren dieselben alten Steinmauern und das Fässchen stand auf dem Tisch, wo ich es zurückgelassen hatte.
Es war nichts Besonderes an der Tür, abgesehen von der Tatsache, dass es sie vor ein paar Stunden noch nicht gab. Es war eine Kirschholztüre, ohne Aufschrift, mit einem einfachen Türknauf aus Messing, wie die anderen. Gerade, als ich mich zum Gehen wandte, öffnete sie sich nach innen. Ich wollte wirklich nicht wissen, was dort drinnen ist, das müssen Sie mir glauben. Ich versuchte, zur Stiege zurückzugelangen, aber eine Dunkelheit quoll von der anderen Seite der Tür in den Keller, und baldwusste ich nicht mehr, wo es nach oben ging. Ich tastete mich an der Wand entlang, und dann sah ich das Licht.
Ich bewegte mich verzweifelt darauf zu, denn ich hatte nur im Sinn, diesen verfluchten Ort zu verlassen. Zu meiner Enttäuschung endete mein Weg vor einem Spiegel. Ich drehte mich um, weil ich das Licht jetzt hinter mir wähnte, doch im Raum war nur diese wogende Finsternis. Ich drückte meine Stirn gegen das Glas und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen, als sich zwei schwarze Hände um meinen Hals legten. Behandschuhte Hände. Seine Hände. Ich versuchte zu schreien, doch er drückte mir bereits die Kehle zu. Ich versuchte nach ihm zu schlagen, konnte aber niemanden hinter mir finden. Da waren nur diese Hände, die mich fester und fester würgten … Aber ich starb nicht. Stattdessen vervielfachte sich das Licht vor meinen Augen. Ein halbes Dutzend solcher Spiegel umgab mich. Mein Spiegelbild sah in jedem anders aus. In dem einen ertrank ich unter Wasser. Im nächsten verbrannte ich bei lebendigem Leib. Ich sah Bilder von mir mit aufgeschnittener Kehle, zerfetzt von einem Wolf, mit einem Schuss im Kopf. Jede schreckliche Art zu sterben, die ich je fürchtete, wurde mir vor Augen geführt. Ich begann das Bewusstsein zu verlieren. Die Hände verstärkten ihren Druck um meinen Hals, und die Spiegelbilder vervielfachten sich erneut.
Ich sah ein Bild von mir, so wie ich Nanny Prum gesehen hatte … wie es sie von innen heraus zerrissen hatte. In diesem Moment spürte ich, obgleich ich einer Ohnmacht nahe war, etwas aus mir emporsteigen. Es kam aus einer Tiefe, die mir selbst fremd war. Ich hörte auf, an den Fingern an meinem Hals zu zerren. Stattdessen stieß ich meine Faust mit aller Kraft durch den Spiegel.
Alle Spiegel zerbrachen gleichzeitig. Ich packte eine Glasscherbe und zerschnitt die Hände um meinen Hals. Sie zucktenund lockerten sich und versuchten erneut zuzupacken. Dann löste sich ihr Griff endgültig. Wir waren nicht mehr allein in der Dunkelheit. Andere Frauen waren bei uns, Spiegelbilder meiner selbst, geschunden, verbrannt, zerbrochen … alle traten heraus aus dem Glas und warfen sich mit solch einem Grimm auf den schwarzen Mann, von dem ich nie vermutet hätte, dass ich ihn in mir tragen könnte. Ich drehte mich um und rannte in die Dunkelheit, bis ich wieder festen Boden unter meinen Füßen hatte und die kühlen Steinwände des Kirchenkellers spürte. Ich wollte die Tür hinter mir schließen, doch dort befand sich nur ein Haufen Ruß und Asche.« Sie starrte mich nach diesen abschließenden Worten an und wartete, dass ich etwas sagte. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte, bis sie ihre blutigen
Weitere Kostenlose Bücher