Charlston Girl
gesehen. Josh wird einen kurzen Blick auf dich werfen und vor Langeweile sterben. Wenn du nicht schon selbst vorher vor Langeweile eingegangen bist.«
Sehr witzig. Aber vielleicht hat sie nicht ganz unrecht. Vielleicht bin ich doch etwas zu schlicht gekleidet.
Ich stelle fest, dass ich nach einer meiner Zwanziger-Jahre-Ketten greife und sie mir um den Hals lege. Die zwei Reihen silberner und schwarzer Perlen klickern aneinander, sobald ich mich bewege, und gleich fühle ich mich etwas interessanter. Glamouröser.
Ich ziehe meine Lippen dunkler nach, gebe ihnen einen leichten Twenties-Touch. Dann greife ich mir ein altes, silbernes Täschchen und betrachte mich noch einmal.
»Viel besser!«, sagt Sadie. »Und wie wäre es mit einem hübschen, kleinen Glockenhut?«
»Nein, danke.« Ich rolle mit den Augen.
»Ich an deiner Stelle würde einen Hut tragen«, beharrt sie.
»Nun, ich möchte aber nicht so aussehen wie du.« Ich werfe meine Haare zurück und lächle mich an. »Ich möchte aussehen wie ich.«
Ich habe Ed vorgeschlagen, unsere Tour am Tower zu beginnen, und als ich aus der U-Bahn an die frische Luft komme, bin ich augenblicklich besser drauf. Natalie ist mir egal. Josh ist mir egal. Diese Kette ist mir egal. Ich sehe mich um. Es ist phänomenal! Uralte, steinerne Zinnen ragen in den blauen Himmel auf, seit Jahrhunderten schon. Beefeater wandern in ihren rotblauen Kostümen umher, als kämen sie direkt aus einem Märchen. An einem solchen Ort ist man stolz, in London geboren und aufgewachsen zu sein. Wie kann es Ed so egal sein? Es ist wie ein Weltwunder!
Wenn ich es recht bedenke, bin ich mir gar nicht sicher, ob ich eigentlich je im Londoner Tower war. Ich meine: so richtig drinnen. Aber das ist auch was anderes. Ich lebe hier. Ich muss nicht.
»Lara! Hier drüben!«
Ed steht schon in der Schlange vor der Kasse. Er trägt Jeans und ein graues T-Shirt. Er hat sich nicht mal rasiert, was interessant ist. Ich hätte ihn für jemanden gehalten, der selbst am Wochenende smart aussieht. Als ich näher komme, mustert er mich mit leisem Lächeln, von oben bis unten.
»Sie tragen also doch gelegentlich Kleider aus dem 21. Jahrhundert.«
»Sehr selten.« Ich grinse ihn an.
»Ich war mir sicher, dass Sie wieder in einem Kleid aus den Zwanzigern auftauchen. Ich habe mir sogar selbst ein kleines Accessoire besorgt. Um mithalten zu können.« Er greift in seine Tasche und holt ein kleines, rechteckiges Etui aus ramponiertem Silber hervor. Er klappt es auf, und ich sehe ein Kartenspiel.
»Cool!«, sage ich beeindruckt. »Wo haben Sie das her?«
»Bei eBay ersteigert.« Er zuckt mit den Schultern. »Ich habe immer Karten dabei. Es ist von 1925«, fügt er hinzu und zeigt mir einen winzigen Stempel.
Ich bin direkt gerührt, dass er sich solche Mühe gibt.
»Wie hübsch!« Ich blicke auf, als wir ganz vorn in der Schlange stehen. »Zweimal Erwachsene, bitte. Das geht auf mich«, füge ich entschlossen hinzu, als Ed seine Brieftasche zückt. »Ich bin die Gastgeberin.«
Ich kaufe die Tickets und ein Buch mit dem Titel »Das Alte London« und führe Ed zu einer Stelle vor dem Tower.
»Also, dieses Gebäude, das Sie hier vor sich sehen, ist der Tower von London«, beginne ich im gewichtigen Tonfall eines Museumsführers. »Eines unserer wichtigsten und ältesten historischen Zeugnisse. Eines unserer Wahrzeichen. Es ist eine Schande, nach London zu kommen und nichts über unsere reiche Vergangenheit in Erfahrung zu bringen.« Mit ernster Miene sehe ich Ed an. »Es ist wirklich engstirnig, und außerdem gibt es so was in Amerika nicht.«
»Sie haben recht.« Er sieht angemessen geknickt aus, als er den Tower betrachtet. »Er ist sensationell.«
»Ja, ist er nicht toll?«, sage ich stolz.
Es gibt Momente, in denen es wirklich das Größte ist, Engländerin zu sein, und der Große-alte-Burg-Moment gehört dazu.
»Und wann wurde er gebaut?«, fragt Ed.
»Ah...« Ich suche ein Hinweisschild. Es gibt keins. Verdammt. Da sollte ein Schild hängen. Ich kann es ja nicht gut im Reiseführer nachschlagen. Nicht, wenn er mich so erwartungsvoll ansieht.
»Das war im...« Ich wende mich ab und murmle etwas Unverständliches. »... hmpfzehnten Jahrhundert.«
»Welches Jahrhundert?«
»Er stammt aus der Zeit der...« Ich räuspere mich. »Tudors.
Ah... Stuarts.«
»Sie meinen die Normannen?«, schlägt Ed höflich vor.
»Ach. Ja, die meinte ich.« Ich werfe ihm einen argwöhnischen Blick zu. Woher wusste er das? Hat
Weitere Kostenlose Bücher