Charlston Girl
Chef-Headhunterin. Schließlich ist sie die Jägerin von uns.
Sie hat auch ein passendes Büro für uns gefunden: ein heruntergekommenes Haus abseits der Kilburn High Road. Nächste Woche können wir einziehen. Langsam fügt sich alles.
Jeden Abend, wenn Kate weg ist, sitzen Sadie und ich zusammen auf meinem Bett und reden. Oder besser: Sie redet. Ich habe ihr gesagt, dass ich alles über sie erfahren möchte. Ich möchte alles hören, woran sie sich erinnern kann, egal ob es groß, klein, wichtig oder trivial ist... alles. Also sitzt sie da und spielt mit ihren Perlen, überlegt ein bisschen und erzählt mir dann. Ihre Gedanken sind etwas wahllos, und ich kann ihr nicht immer folgen, doch allmählich bekomme ich eine Vorstellung von ihrem Leben. Sie hat mir von diesem göttlichen Hut erzählt, den sie in Hongkong trug, als der Krieg ausbrach, von diesem Lederkoffer, in den sie alles einpackte und der verloren ging, von der Schiffsreise nach Amerika, von der Sache in Chicago, als sie mit vorgehaltener Waffe ausgeraubt wurde, ihre Kette jedoch behalten konnte, von dem Mann, mit dem sie eines Abends tanzte und der später Präsident werden sollte...
Und ich sitze da und bin völlig gefesselt. So eine Geschichte habe ich noch nie gehört. Sie hatte ein unglaublich buntes Leben. Manchmal spaßig, manchmal aufregend, manchmal verzweifelt, manchmal schockierend. Ich kann mir niemand anderen vorstellen, der dieses Leben geführt haben könnte. Nur Sadie.
Ich rede auch gelegentlich. Ich habe ihr erzählt, wie es war, bei Mum und Dad aufzuwachsen, Geschichten von Tonyas Reitstunden und meinem Tick mit dem Synchronschwimmen. Ich habe ihr von Mums Angstattacken erzählt und dass ich mir wünsche, sie könnte sich entspannen und das Leben genießen.
Ich habe ihr erzählt, dass wir unser Leben lang in Onkel Bills Schatten standen.
Wir kommentieren die Geschichten des anderen kaum. Wir hören nur zu.
Später, wenn ich schlafen gehe, zieht Sadie in die London Portrait Gallery um und sitzt die ganze Nacht allein vor ihrem Bild. Sie hat mir nicht erzählt, dass sie es tut. Ich merke es einfach daran, wie sie sich mit verträumtem Blick auf die Socken macht. Und wie sie wiederkommt, nachdenklich und entrückt, und von ihrer Kindheit und Stephen und Archbury erzählt. Ich freue mich, dass sie hingeht. Das Bild ist so wichtig für sie. Und nachts muss sie es mit niemandem teilen.
Zufälligerweise tut es mir auch gut, wenn sie über Nacht weg ist. Aus... verschiedenen Gründen Nichts Bestimmtes.
Oh, okay. Na gut. Es gibt einen bestimmten Grund. Weil nämlich Ed kürzlich ein paar Nächte bei mir verbracht hat.
Ich meine, mal ehrlich: Kann man sich was Schlimmeres vorstellen, als dass ein Geist im Schlafzimmer herumlungert, wenn man gerade seinem neuen Freund... etwas näher kommt? Die Vorstellung, dass Sadie uns mit ihren Kommentaren beglückt, gefällt mir nicht. Sie kennt keine Scham. Ich weiß, dass sie uns beobachten würde. Vermutlich würde sie Punkte verteilen, von eins bis zehn, oder abschätzig bemerken, dass sie damals alles viel besser gemacht haben, oder Ed plötzlich »Schneller!« ins Ohr schreien.
Eines Morgens habe ich sie schon dabei erwischt, wie sie in die Dusche kam, als Ed und ich zufällig gerade darunter standen. Ich habe gekreischt und versucht, sie rauszuschieben und versehentlich Ed meinen Ellbogen ins Gesicht geschlagen, und es dauerte fast eine Stunde, bis ich mich davon erholt hatte. Und Sadie tat es kein bisschen leid. Sie sagte, ich würde überreagieren und sie wollte uns doch nur Gesellschaft leisten. Gesellschaft?
Danach hat mich Ed so komisch angesehen. Fast ist es, als hätte er einen Verdacht. Ich meine, selbstverständlich kann er die Wahrheit nicht erraten haben. Das wäre unmöglich. Aber er ist ziemlich aufmerksam. Und ich sehe ihm an, dass er weiß, dass mit meinem Leben irgendwas komisch ist.
Das Telefon klingelt, und Kate geht ran. »Hallo, Magic Search. Was kann ich für Sie tun? Oh. Ja, natürlich, ich stell Sie durch.« Sie drückt den Anruf in die Warteschleife und sagt: »Es ist Sam von Bill Lingtons Reisebüro. Offenbar hast du ihn angerufen.«
»Oh. Ja, danke, Kate.«
Ich hole tief Luft und nehme den Hörer ab. Meine letzte Hoffnung.
»Hallo, Sam«, sage ich freundlich. »Danke für Ihren Rückruf.
Ich hatte Sie angerufen, weil... mh... ich möchte eine kleine Überraschungsparty für meinen Onkel geben. Ich weiß, er ist unterwegs, und da dachte ich, Sie könnten mir
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