Charlston Girl
erreichen. (Also, natürlich könnten sie ihn irgendwie auftreiben. Sie tun es nur einfach nicht für seine durchgeknallte Nichte.) Ich möchte nicht schreiben oder anrufen. Es muss von Angesicht zu Angesicht geschehen. Doch das ist momentan unmöglich.
Und der Umstand, dass Sadie moralisch auf dem hohen Ross sitzt, ist auch keine Hilfe. Sie findet, es hat keinen Sinn, sich mit Vergangenem aufzuhalten, was passiert ist, ist passiert, und ich soll nicht sinnlos »rumschwadronieren, Darling«.
Aber es ist mir egal, was sie findet. Die Rache wird mein sein! Je länger ich darüber nachdenke, was Onkel Bill getan hat, desto empörter werde ich und desto lieber möchte ich Dad anrufen und ihm alles erzählen. Doch ich beherrsche mich irgendwie. Es hat keine Eile. Jeder weiß, dass Rache am süßesten ist, wenn man Zeit hatte, genügend Biss und Zorn zu sammeln. Außerdem ist es ja nicht so, als könnten meine Beweise weglaufen. Das Gemälde wird wohl kaum aus der London Portrait Gallery verschwinden. Ebenso wenig die so genannte vertrauliche Vereinbarung, die Onkel Bill damals unterzeichnet hat. Ed hat bereits einen Anwalt für mich engagiert, und der wird formell Anspruch erheben, sobald ich ihm Bescheid gebe. Was ich tun werde, sobald ich Onkel Bill mit der Sache konfrontiert und gesehen habe, wie er sich windet. Das ist mein Ziel. (Sollte er vor mir zu Kreuze kriechen, wäre das ein Sahnehäubchen, aber ich wage es kaum zu hoffen.)
Ich seufze schwer, zerknülle ein Blatt Papier und werfe es in den Müll. Am liebsten würde ich jetzt sehen, wie er sich windet. Meine Strafpredigt ist fix und fertig ausgefeilt.
Um mich abzulenken, lehne ich mich ans Kopfteil meines Bettes und blättere die Post durch. Eigentlich ist mein Schlafzimmer als Büro ganz okay. Ich muss nicht extra irgendwohin, und es kostet nichts. Und es hat ein Bett. Weniger positiv ist, dass Kate an meiner Frisierkommode arbeiten muss und sich ständig die Beine einklemmt.
Meine neue Headhunting-Agentur heißt Magic Search , und mittlerweile sind wir schon drei Wochen bei der Arbeit. Und haben schon einen Auftrag gelandet! Wir wurden an eine pharmazeutische Firma empfohlen, und zwar von Janet Grady, die meine neue beste Freundin ist. (Janet ist ja nicht blöd. Sie weiß, dass ich die ganze Arbeit gemacht habe und Natalie nichts. Vor allem, nachdem ich sie angerufen und es ihr erzählt hatte.) Ich habe das Angebot selbst formuliert, und vor zwei Tagen erfuhren wir, dass wir den Auftrag kriegen! Man bat uns, eine Shortlist für einen Marketing Director aufzustellen, und diesmal sind Spezialkenntnisse in der pharmazeutischen Industrie gefragt. Ich habe dem Personalchef erzählt, der Auftrag sei wie für uns geschaffen, denn rein zufällig sei eine meiner Mitarbeiterinnen mit der Pharmaindustrie besonders gut vertraut.
Was - okay - streng genommen nicht ganz der Wahrheit entspricht.
Entscheidend ist bei Sadie jedoch, dass sie schnell lernt und alle möglichen schlauen Ideen hat. Weshalb sie ein hochgeschätztes Mitglied des Magic Search- Teams ist.
»Hi!« Ihre hohe Stimme reißt mich aus meinen Träumereien, und ich blicke auf und sehe sie am Fußende meines Bettes sitzen. »Ich war gerade bei Glaxo Welcome. Ich habe die Durchwahl von zwei führenden Leuten aus der Marketingabteilung. Schnell, bevor ich sie wieder vergesse...«
Sie diktiert mir zwei Namen und Telefonnummern. Durchwahlnummern. Für Headhunter mit Gold kaum aufzuwiegen.
»Der Zweite ist gerade Vater geworden«, fügt sie hinzu. »Der will wahrscheinlich keinen neuen Job. Aber Rick Young vielleicht. Er machte bei dem Meeting einen ziemlich gelangweilten Eindruck. Wenn ich noch mal hingehe, finde ich raus, was er so verdient.«
Sadie ..., schreibe ich unter die Telefonnummern. Du bist die Größte. Tausend Dank.
»Keine Ursache«, sagt sie fröhlich. »Es war ganz einfach. Und jetzt? Ich finde, wir sollten Europa in unsere Überlegungen mit einbeziehen. In der Schweiz und in Frankreich muss es doch massenweise Talente geben.«
Super Idee , schreibe ich, dann blicke ich auf. »Kate, könntest du mir eine Liste aller europäischen Pharmafirmen zusammenstellen? Ich glaube, diesmal sollten wir unser Netz noch etwas weiter spannen.«
»Tolle Idee, Lara!«, sagt Kate beeindruckt. »Ich mach mich gleich ans Werk.«
Sadie zwinkert mir zu, und ich grinse zurück. Einen Job zu haben, tut ihr gut. Lebendiger und glücklicher habe ich sie noch nie erlebt. Ich habe ihr sogar einen Titel verpasst:
Weitere Kostenlose Bücher