Charlston Girl
nicht auch froh, dass du nicht bei Josh geblieben bist?«, will Sadie plötzlich wissen. »Bist du nicht froh, dass ich dich vor diesem schrecklichen Schicksal gerettet habe?«
Ich nehme einen Schluck Champagner und weiche ihrem Blick aus, denn innerlich ringe ich mit mir. Ed mit Josh zu vergleichen, ist, als wolle man superleckeres Körnerbrot von Duchy Originals mit weißem Plastikbrot vergleichen. (Ich möchte nicht abfällig über Josh sprechen. Und damals war es mir auch nicht bewusst. Aber es stimmt. Genau das ist er. Weißes Plastikbrot.)
Also sollte ich eigentlich ehrlich sein und sagen: »Ja, Sadie ich bin froh, dass du mich vor diesem schrecklichen Schicksal bewahrt hast.« Aber dann bildet sie sich sonst was ein, und das muss ich jetzt nicht haben.
»Das Leben geht manchmal seltsame Wege«, sage ich schließlich kryptisch. »Es ist nicht an uns, sie zu bewerten oder zu beurteilen. Wir können sie nur respektieren und annehmen.«
»Schwachsinn«, sagt sie verächtlich. »Ich weiß, dass ich dich vor einem schrecklichen Schicksal bewahrt habe, und wenn du nicht mal dankbar sein kannst...« Plötzlich lenkt ein Blick aus dem Fenster sie ab. »Guck mal! Wir sind fast da!«
Und tatsächlich leuchtet im nächsten Augenblick das Zeichen zum Anschnallen, und alle legen ihre Gurte an, nur Sadie nicht, die durch die Kabine schwebt.
»Seine Mutter ist ziemlich schick, weißt du«, sagt sie nonchalant.
»Wessen Mutter?« Ich kann nicht folgen.
»Eds natürlich. Ich glaube, ihr beide werdet gut miteinander auskommen.«
»Woher willst du das wissen?«, sage ich staunend.
»Natürlich weil ich da war, um zu sehen, wie sie so ist«, sagt Sadie sorglos. »Sie wohnen etwas außerhalb von Boston. Sehr hübsches Haus. Sie lag gerade in der Badewanne. Sie hat eine sehr gute Figur für eine Frau in ihrem Alter...«
»Sadie, hör auf!« Ich kann es fast nicht glauben. »Das kannst du doch nicht machen! Du kannst doch nicht rumlaufen und allen Leuten hinterherspionieren!«
»Doch, kann ich«, sagt sie und macht große Augen, als sei das ja wohl selbstverständlich. »Ich bin dein Schutzengel. Meine Aufgabe ist es, auf dich achtzugeben.«
Baff starre ich sie an. Die Flugzeugturbinen brüllen, als wir in den Landeanflug gehen, meine Ohren knacken, und ich kriege ein etwas flaues Gefühl im Magen.
»Ich hasse es.« Sadie rümpft die Nase. »Wir sehen uns unten.« Und bevor ich etwas antworten kann, ist sie verschwunden.
Onkel Bills Villa liegt eine längere Taxifahrt vom Flughafen Nizza entfernt. Ich mache einen Zwischenstopp für ein Glas Orangina im Dorfcafe und übe zu Sadies Belustigung mein Schulfranzösisch an dem Besitzer. Dann steigen wir wieder ins Taxi und fahren das letzte Stück zu Onkel Bills Domizil. Oder seinem Anwesen. Oder wie man ein gigantisches, weißes Haus nennen will, auf dessen Gelände diverse weitere Häuser stehen, mit einem kleinen Weinberg und einem Hubschrauberlandeplatz.
Hier gibt es reichlich Personal, aber das macht nichts, solange man einen Geist an seiner Seite hat, der gut Französisch kann. Jeder, der uns begegnet, ist bald nur noch eine Statue mit glasigem Blick. Wir durchqueren den Garten, ohne aufgehalten zu werden, und Sadie führt mich direkt zu einem Kliff, in das Stufen gehauen sind. Die Treppe endet an einem Sandstrand am endlosen Mittelmeer.
Das also springt dabei heraus, wenn einem Lingtons Coffee gehört. Ein eigener Strand. Ein eigenes Panorama. Ein eigenes Stück Meer. Plötzlich begreife ich, weshalb man superreich sein möchte.
Einen Moment stehe ich nur da, schütze meine Augen vor der Sonne und beobachte Onkel Bill. Ich hatte ihn mir auf einer Sonnenliege vorgestellt, mit Blick auf sein Imperium, und vielleicht mit seiner unheilbringenden Hand eine weiße Katze kraulend. Aber weder hat er ein Imperium im Blick, noch entspannt er sich. Eigentlich sieht er ganz und gar nicht so aus, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Er hat einen Trainer bei sich, macht Situps und schwitzt gewaltig. Staunend glotze ich ihn an, während er einen Situp nach dem nächsten macht und dabei vor Schmerzen heult. Dann bricht er auf seiner Trainingsmatte zusammen.
»Nur... eine... kurze... Pause«, keucht er. »Dann mach ich noch mal... hundert.«
Er ist so beschäftigt, dass er gar nicht merkt, wie ich leise am Kliff hinuntersteige, in Sadies Begleitung.
»Vielleischt solltön Sie sisch un peu ausru‘en«, sagt der Trainer mit sorgenvoller Miene, als er sich Onkel Bill ansieht. »Sie
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