Charlston Girl
darauf, dass sie fortfährt. Betreten zuckt sie mit den Schultern.
»Das ist alles?«
»Paul Richards hat gestern einen Rückzieher gemacht«, sagt sie. »Er hat eine Stellung bei irgendeiner amerikanischen Firma angeboten bekommen. Hier ist die Liste.« Sie reicht mir einen Zettel, und mit abgrundtiefer Verzweiflung starre ich die drei Namen an. Alles hoffnungslose Fälle. Diese Liste können wir unmöglich einreichen.
Mein Gott, Headhunting ist ein hartes Geschäft. Ich hatte ja keine Ahnung. Bevor wir die Firma gegründet haben, klang es aus Natalies Mund immer so aufregend. Begeistert erzählte sie vom Fieber der Jagd, von »Einstellungsstrategien« und »Anpassungsqualifikationen« und »dem anerkennenden Schulterklopfen«. Wir haben uns alle paar Wochen auf einen Drink getroffen, und sie hatte immer so viele tolle Geschichten zu erzählen, dass ich etwas neidisch wurde. Werbe-Websites für einen Autohersteller zu schreiben, schien mir dagegen vergleichsweise langweilig. Außerdem kursierten Gerüchte, uns stünden umfangreiche Entlassungen bevor. Und als Natalie dann eine gemeinsame Firma vorschlug, habe ich die Chance sofort wahrgenommen. Ich hatte von jeher großen Respekt vor Natalie. Ich fand sie schon immer so elegant und selbstbewusst. Schon in der Schule hatte sie immer die neuesten Sprüche drauf und schleppte uns in Pubs. Und als wir das mit der Firma anfingen, lief alles wunderbar. Sie zog gleich ein paar Geschäfte an Land und war immer unterwegs, um Kontakte zu machen. Ich schrieb unsere Website und lernte sozusagen ihre Tricks. Es lief alles in die richtige Richtung. Bis sie verschwand und ich merkte, dass ich eigentlich noch gar keine Tricks gelernt hatte.
Natalie steht total auf Geschäfts-Mantras und hat sie auf gelben Klebezetteln rund um ihren Schreibtisch verteilt. Immer wieder gehe ich hin und studiere sie wie Runen einer alten Religion und versuche herauszufinden, was ich tun soll. Zum Beispiel steht über ihrem Computer: »Das beste Talent ist schon auf dem Markt.« Das kenne ich: Es bedeutet, dass man nicht die Lebensläufe sämtlicher Banker durchgehen muss, die letzte Woche von ihrer Investmentbank gefeuert wurden, und sie zu Marketingdirektoren hochstilisieren. Man muss die Marketingdirektoren anderer Firmen anhauen.
Aber wie? Was ist, wenn die nicht mit dir sprechen wollen?
Nach ein paar Wochen allein habe ich selbst einige Mantras, und die lauten folgendermaßen: »Das beste Talent geht nicht selbst ans Telefon.« »Das beste Talent ruft nicht zurück, selbst wenn man drei Nachrichten bei seiner Sekretärin hinterlassen hat.« »Das beste Talent will nicht in das Geschäft mit Sportartikeln einsteigen.« »Wenn man die fünfzig Prozent Angestelltenrabatt auf Tennisschläger erwähnt, lacht einen das beste Talent aus.«
Zum millionsten Mal zücke ich unsere ursprüngliche, zerknüllte, mit Kaffeeflecken übersäte Longlist hervor und blättere trübsinnig darin herum. Namen glitzern auf der Seite wie unerreichbare Preziosen. Vergebene, echte Talente. Der Marketingdirektor von Woodhouse Retail. Der Marketingchef Europa bei Dartmouth Plastics. Die können doch nicht alle glücklich mit ihrem Job sein. Da muss es doch jemanden geben, der gern für Leonidas Sports arbeiten würde. Aber ich habe es schon mit jedem einzelnen Namen versucht und nichts erreicht. Ich blicke auf und sehe, dass Kate auf einem Bein steht und mich ängstlich mustert, das andere Bein um ihren Unterschenkel geknotet.
»Uns bleiben genau drei Wochen, um einen scharf denkenden, hartgesottenen Marketingdirektor für Leonidas Sports zu finden.« Ich versuche verzweifelt, positiv zu denken. Natalie hat diesen Deal an Land gezogen. Natalie wollte die hochqualifizierten Kandidaten umgarnen. Natalie weiß, wie so was geht. Ich nicht.
Egal. Hat keinen Sinn, darüber weiter nachzudenken.
»Okay.« Ich schlage mit der flachen Hand auf den Tisch. »Ich werde mal ein bisschen telefonieren.«
»Ich bring dir einen frischen Kaffee.« Kate legt los. »Wenn es sein muss, arbeiten wir die ganze Nacht durch.«
Ich liebe Kate. Sie tut, als lebte sie in einem Film über eine aufstrebende, multinationale Firma und nicht über zwei Leute in einem Zehn-Quadratmeter-Büro mit schimmligem Teppich.
»Kohle, Kohle, Kohle«, sagt sie, als sie sich setzt.
»Wer zuerst kommt, mahlt zuerst«, antworte ich.
Auch Kate hat damit angefangen, Natalies Mantras zu lesen. Und jetzt können wir nicht mehr damit aufhören, sie gegenseitig zu
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