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Charlston Girl

Charlston Girl

Titel: Charlston Girl Kostenlos Bücher Online Lesen
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konnte. Ich sitze in der Ecke, bin nicht zu sehen und trage zur Sicherheit noch eine Baseballkappe. Der Laden ist eine von diesen gut besuchten Brasserien mit reichlich Tischen und Pflanzen und Haken für die Garderobe, so dass ich mich ohne Weiteres unsichtbar machen kann.
    Josh hat einen der großen Holztische am Fenster reserviert -ich habe heimlich einen Blick auf die Liste geworfen. Von meinem Eckplatz aus habe ich seinen Tisch gut im Blick, so dass ich mir seine so genannte Marie mal genauer ansehen und die Körpersprache der beiden beobachten kann. Am besten aber ist, dass ich sogar ihr Gespräch belauschen kann, weil ich an ihrem Tisch eine Wanze installiert habe. Das ist kein Witz. Ich habe tatsächlich eine Wanze installiert. Vor drei Tagen habe ich im Internet ein kleines, ferngesteuertes Funkmikrofon in einem Paket gekauft, das »Der Kleine Spion« hieß. Als es ankam, musste ich feststellen, dass es eher für zehnjährige Jungen als für erwachsene Exfreundinnen gedacht war, denn außerdem lagen ein »Agenten-Kalender« aus Plastik und ein »Cooler Code-Knacker« dabei.
    Na und? Ich habe das Mikro getestet, und es funktioniert! Es hat nur eine Reichweite von sieben Metern, aber mehr brauche ich auch nicht. Vor zehn Minuten bin ich lässig an dem Tisch vorbeigeschlendert, habe so getan, als sei mir etwas heruntergefallen, und den kleinen Klebestreifen des Mikrofons an der Unterseite des Tisches angebracht. Der Ohrhörer ist unter meiner Baseballkappe versteckt. Ich muss ihn nur anknipsen, sobald es losgeht.
    Okay, ich weiß, man soll Leute nicht belauschen. Ich weiß, dass ich etwas moralisch Verwerfliches tue. Tatsächlich habe ich mit Sadie heftig darum gestritten. Zuerst sagte sie, ich solle nicht hierher gehen. Dann, als sie merkte, dass sie den Punkt verlieren würde, sagte sie, wenn ich denn so unbedingt wissen wolle, was Josh redet, sollte ich mich einfach an den Nebentisch setzen und ihn belauschen. Aber wo ist da der Unterschied? Wenn man jemanden belauscht, belauscht man ihn, ob man nun einen Meter entfernt ist oder sieben.
    Entscheidend ist doch, dass eine völlig neue Moral ins Spiel kommt, sobald es um die Liebe geht. In der Liebe und im Krieg ist alles erlaubt. Es dient einem höheren Zweck. Wie diese Leute in Bletchley, die im Zweiten Weltkrieg die deutschen Codes geknackt haben. Wenn man es recht bedenkt, war das auch eine Verletzung der Privatsphäre. Und denen war es auch egal, oder?
    Plötzlich sehe ich mich glücklich mit Josh verheiratet, am sonntäglichen Mittagstisch, wie ich zu meinen Kindern sage: »Wisst ihr, fast hätte ich Daddys Tisch nicht verwanzt. Dann wärt ihr alle gar nicht hier!«
    »Ich glaube, da kommt er!«, sagt Sadie plötzlich neben mir. Ich habe sie überreden können, dass sie mir assistiert, auch wenn sie bisher nur im Restaurant umhergewandert ist und abfällige Bemerkungen über anderer Leute Kleidung gemacht hat.
    Ich riskiere einen kurzen Blick zur Tür und fühle mich plötzlich wie in der Achterbahn. Ogottogott. Sadie hat recht. Er ist es. Und sie. Sie kommen zusammen. Wieso kommen sie zusammen?
    Okay, flipp nicht gleich aus! Stell dir nicht vor, wie sie gemeinsam aufwachen, total verschlafen und frisch gevögelt. Es könnte diverse, absolut vernünftige Erklärungen geben. Vielleicht haben sie sich am U-Bahnhof getroffen. Ich nehme einen großen Schluck Wein, dann blicke ich wieder auf. Ich weiß nicht, wen ich mir zuerst ansehen soll, Josh oder sie. Sie.
    Sie ist blond. Ziemlich dürr, mit orangefarbener Dreiviertelhose und einem dieser ärmellosen Tops, die Frauen in der Werbung für fettreduzierten Joghurt oder Zahnpasta anhaben. So ein Top, das man nur tragen kann, wenn man gut im Bügeln ist, was mir zeigt, dass sie ordentlich sein muss. Ihre Arme sind braungebrannt, und sie hat Strähnchen im Haar, als käme sie gerade aus dem Urlaub.
    Als ich mir dann Josh ansehe, wird mir ganz flatterig im Bauch. Er ist einfach... Josh. Dasselbe glatte, blonde Haar, dasselbe schiefe Grinsen, als er den Oberkellner begrüßt, dieselbe ausgeblichene Jeans, dieselben Leinen-Sneaker (irgendein cooles, japanisches Label, dessen Namen ich noch nie so recht aussprechen konnte), dasselbe Hemd... Moment. Ungläubig starre ich ihn an. Dieses Hemd habe ich ihm zum Geburtstag geschenkt.
    Wie kann er das machen? Hat er denn kein Herz? Er trägt mein Hemd in unserem Restaurant. Und er lächelt diese Frau an, als gäbe es auf der ganzen Welt nur sie. Jetzt nimmt er ihren Arm

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