Charlston Girl
jetzt machen?
»Ich weiß nicht! Ich weiß es wirklich nicht!«
Schweigend starren wir einander an und schnaufen dabei leicht.
»Ich muss meine Schuhe anziehen«, sage ich schließlich. Ich laufe die Stufen hinunter und streife meine Schuhe schnell über. Oben flitzt Sadie noch immer frustriert durchs Zimmer, als könnte sie ihre Kette nicht zurücklassen. Endlich gibt sie auf und gesellt sich auf dem Rasen zu mir. Einen Moment lang können wir uns nicht in die Augen sehen.
»Tut mir leid, dass ich nicht schneller zugegriffen habe«, brumme ich schließlich.
»Na gut«, sagt Sadie, wobei sie sich unübersehbar anstrengen muss. »Wahrscheinlich war es wohl nicht allein deine Schuld.«
»Gehen wir ums Haus. Vielleicht können wir uns irgendwo reinschleichen. Sieh nach, ob die Luft rein ist!«
Als Sadie verschwindet, schleiche ich vorsichtig über den Rasen und dann am Haus entlang. Ich komme nur langsam voran, denn an jedem Fenster ducke ich mich und krieche auf dem Bauch weiter. Auch wenn es mir nicht ernstlich helfen dürfte, falls ein Wachmann vorbeikommt...
»Da bist du ja!« Plötzlich hüpft Sadie aus der Mauer neben mir hervor. »Weißt du was?«
»Hilfe!« Ich ringe nach Luft. »Was?«
»Dein Onkel! Ich habe ihn beobachtet! Eben war er an seinem Safe im Schlafzimmer. Er hat reingesehen, konnte aber nicht finden, was er suchte. Dann hat er ihn zugeknallt und nach Diamanté gerufen. Dem Mädchen. Komischer Name.« Sie rümpft die Nase.
»Meine Cousine.« Ich nicke. »Deine andere Großnichte.«
»Sie war in der Küche. Er sagte, er müsste sie mal unter vier Augen sprechen, und hat das Personal rausgeschickt. Dann wollte er wissen, ob sie an seinem Safe war und was rausgenommen hat. Dann hat er gesagt, ihm fehlt eine alte Kette, und gefragt, ob sie was darüber weiß.«
»Oh mein Gott.« Ich starre sie an. »Oh mein Gott! Was hat sie gesagt?«
»Sie sagte nein, aber er hat ihr nicht geglaubt.«
»Vielleicht lügt sie.« Mein Hirn macht Überstunden. »Vielleicht lag die Kette in ihrem Schlafzimmer.«
»Genau! Also müssen wir sie jetzt holen, bevor dem Mädchen einfällt, wo sie ist, und sie wegschließt. Da oben ist niemand. Alles Personal ist woanders. Wir können durchs Haus spazieren.«
Ich habe keine Zeit, darüber nachzudenken, ob das eine gute Idee ist oder nicht. Mit pochendem Herzen folge ich Sadie zu einer Seitentür und durch eine Waschküche, die so groß ist wie meine ganze Wohnung. Sie winkt mich durch ein paar Schwingtüren, einen Gang entlang, dann hebt sie ihre Hand, als wir zur Eingangshalle kommen. Ich kann Onkel Bill schreien hören. Seine Stimme wird immer lauter.
»... privater Safe... zu meiner persönlichen Sicherheit... wie kannst du es wagen ... der Code war nur für Notfälle ...«
»...total unfair! Nie darf ich irgendwas haben!«
Es ist Diamantes Stimme, und sie kommt näher. Instinktiv springe ich hinter einen Stuhl und gehe in die Knie, auch wenn sie zittern. Im nächsten Augenblick kommt sie in die Halle stolziert, mit einem merkwürdigen, asymmetrischen Minirock in Pink und einem winzig kleinen T-Shirt.
»Ich kauf dir eine Kette!« Onkel Bill kommt ihr hinterhergelaufen. »Kein Problem. Sag mir, was du willst... Damian treibt es auf...«
»Das sagst du immer!«, kreischt sie ihn an. »Nie hörst du zu! Diese Kette ist perfekt! Ich brauche sie für die Präsentation meiner neuen Tutus & Pear´s-Kollektion! Alles hat mit Schmetterlingen und Insekten und so was zu tun! Ich bin ein kreativer Mensch, falls es dir noch nicht aufgefallen sein sollte...«
»Wenn du so kreativ bist, meine Liebe«, sagt Onkel Bill mit sarkastischem Unterton, »wieso haben wir dann drei Designer eingestellt, die an deinen Kleidern arbeiten?«
Einen Moment bin ich platt. Diamanté lässt andere Designer für sich arbeiten? In der nächsten Sekunde kann ich nicht fassen, dass ich nicht selbst darauf gekommen bin.
»Das sind... verdammt noch mal... Assistenten !«, kreischt sie. »Es ist meine Vision! Und ich brauche diese Kette...«
»Du wirst sie nicht verwenden, Diamanté.« Onkel Bills Stimme klingt unheilschwanger. »Und du wirst nie wieder an meinen Safe gehen. Du gibst sie mir sofort zurück...«
»Nein, tu ich nicht! Und du kannst Damian sagen, er kann mich mal, er ist ein Schleimer.« Sie rennt die Treppe hinauf, dicht gefolgt von Sadie.
Onkel Bill sieht dermaßen wütend aus, fast als wäre er nicht mehr ganz bei sich. Er atmet schwer und fährt mit beiden Händen durch
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