Charlston Girl
Ende abwarten, mir Diamanté schnappen und sie irgendwie an Ort und Stelle dazu überreden, mir die Kette auszuhändigen.
Oder sie, na ja... klauen.
Seufzend schließe ich die Diamanten-Website und wende mich zu Sadie um. Heute trägt sie ein silbernes Kleid, von dem sie offenbar schon geträumt hat, als sie einundzwanzig war. Ihre Mutter wollte es ihr nicht kaufen. Sie sitzt am offenen Fenster und baumelt mit den Beinen hoch über der Straße. Das Kleid ist rückenfrei, bis auf zwei dünne, silberne Träger auf ihren schlanken Schultern und einer Rose tief unten im Kreuz. Von allen Geisterkleidern, die sie bisher getragen hat, gefällt mir das am besten.
»Die Kette würde toll zu diesem Kleid passen«, sage ich unvermittelt.
Sadie nickt, reagiert aber nicht. Ihre Schultern haben so etwas Gedrücktes an sich, was nicht ernstlich überraschen kann. Wir waren so nah dran. Wir haben sie gesehen. Und dann haben wir sie verloren.
Unruhig betrachte ich Sadie einen Moment. Ich weiß, sie kann es nicht leiden, »immer alles zu bequatschen«. Aber vielleicht ginge es ihr besser, wenn sie darüber sprechen würde. Wenigstens ein bisschen.
»Erzähl es mir noch mal... wieso ist dir diese Kette so wichtig?«
Einen Moment sagt Sadie nichts, und ich überlege, ob sie die Frage überhaupt gehört hat.
»Das habe ich dir doch schon hundertmal erzählt«, sagt sie schließlich. »Wenn ich sie trug, fand ich mich schön. Ich fühlte mich wie eine Göttin. Von innen leuchtend.« Sie lehnt sich an den Fensterrahmen. »Du musst doch auch was in deinem Schrank haben, das dir das Gefühl gibt, strahlend schön zu sein.«
»Hm...« Ich zögere.
Ich kann nicht ernstlich behaupten, dass ich mich je wie eine Göttin gefühlt hätte. Oder sonderlich geleuchtet hätte.
Als könnte sie meine Gedanken lesen, dreht sich Sadie um und mustert meine Jeans. »Wohl nicht. Du solltest versuchen zur Abwechslung mal was Hübsches zu tragen.«
»Das sind doch gute Jeans!« Trotzig klatsche ich mir auf den Oberschenkel. »Vielleicht sind sie nicht gerade hübsch...«
»Sie sind blau.« Sie hat ihren Schwung wieder gefunden und wirft mir einen bohrenden Blick zu. »Blau! Die hässlichste Farbe im Regenbogen. Wie ich sehe, läuft die ganze Welt blaubeinig herum. Warum blau?«
»Weil...« Verblüfft zucke ich mit den Schultern. »Weiß nicht.«
Kate hat heute früh Feierabend gemacht, um zum Kieferorthopäden zu gehen, und die Telefone schweigen. Vielleicht sollte ich auch gehen. Es ist sowieso bald Zeit. Ich sehe auf meine Armbanduhr und kann es kaum erwarten.
Ich rücke den Bleistift in meinen Haaren zurecht, stehe auf und überprüfe meinen Auftritt. Lustiges, bedrucktes T-Shirt von Urban Outfitters. Süßer, kleiner Froschanhänger. Jeans und Ballerinas. Nicht zu viel Make-up. Perfekt.
»Also... ich dachte, wir könnten vielleicht einen kleinen Spaziergang machen«, sage ich superbeiläufig zu Sadie. »Es ist so ein schöner Tag.«
»Einen Spaziergang?« Sie starrt mich an. »Was für einen Spaziergang denn?«
»Einfach... einen Spaziergang!« Bevor sie noch etwas sagen kann, fahre ich meinen Computer herunter, stelle den Anrufbeantworter an und nehme meine Tasche. Nun, da sich mein Plan verwirklichen soll, bin ich doch ziemlich aufgeregt.
Man braucht nur zwanzig Minuten bis nach Farringdon, und als ich die U-Bahn-Treppe hinaufhaste, sehe ich auf meine Armbanduhr. 17:45. Perfekt.
»Was wollen wir hier?« Sadies misstrauische Stimme folgt mir. »Ich dachte, wir machen einen Spaziergang.«
»Machen wir auch. In gewisser Weise.«
Halb wünsche ich mir schon, ich hätte Sadie abgehängt. Das Problem ist, dass ich sie vielleicht brauchen könnte, falls es schwierig wird. Ich halte auf die nächste Ecke der Hauptstraße zu und bleibe stehen.
»Worauf wartest du?«
»Auf niemanden«, sage ich etwas zu beiläufig. »Ich warte auf niemanden. Ich will mich nur etwas... treiben lassen. Mir die Welt ansehen.« Lässig lehne ich mich an einen Briefkasten, um zu beweisen, wie entspannt ich bin, dann rücke ich eilig ab, als eine Frau einen Brief einwerfen möchte.
Sadie taucht vor mir auf und betrachtet mein Gesicht, dann atmet sie scharf ein, als sie das Buch in meiner Hand bemerkt. »Ich weiß, was du vorhast! Du lauerst jemandem auf! Du wartest auf Josh! Stimmt‘s?«
»Ich nehme mein Leben in die Hand.« Ich meide ihren Blick. »Ich zeige ihm, dass ich mich geändert habe. Wenn er mich sieht, wird er merken, dass er einen Fehler begangen
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