Charons Klaue
schüttelte den Kopf und wandte den Blick ab. »Wo ist Drizzt?«
»Er schleicht zurück, um sicherzugehen, dass uns niemand folgt«, erwiderte sie, und Entreri nickte zustimmend. »Vielleicht haben ihn die Shadovar schon erwischt und foltern ihn, bis er unsere Position verrät. Sofern das überhaupt nötig ist.«
Entreris Kopf fuhr zu der Frau herum. Sie sah ihn böse an, aber er ging auf ihre Herausforderung nicht ein, sondern versuchte nur, ihre Gefühle zu ergründen.
»Hasst du schon so lange, dass du nicht weißt, wie es ist, nicht zu hassen?«, fragte er trocken.
Dahlia reagierte zunächst erbost, dann jedoch verwirrt.
»Du hast deine Rache an Erzgo Alegni bekommen«, erklärte Entreri. »Aber jetzt hast du noch schlechtere Laune als vor dem Kampf auf der Brücke.«
Dahlia zuckte nicht mit der Wimper.
»Kann es sein, dass die Rache weniger süß war als erwartet?«, hakte Entreri nach. »War die Vorfreude womöglich mehr nach deinem Geschmack?«
»Der Mörder wird zum Philosophen?«, entgegnete Dahlia.
»Du läufst doch schon dein Leben lang davon«, sagte er.
»Wovor?«
»Vor dem, was Alegni dir angetan hat.«
»Du weißt überhaupt nichts.«
»Ich weiß, dass du bei meinen Worten unruhig wirst.«
»Weil ich in diesem dämlichen Loch hier festsitze«, fauchte sie. »Wie sollen wir uns verteidigen, wenn uns hier jemand entdeckt? Du kannst hier nicht einmal stehen, ohne deinen Kopf in den Abzug da zu stecken! Ich dachte, ich bin mit erfahrenen Kriegern unterwegs. Stattdessen stecke ich an diesem unmöglichen Ort fest!«
Sie schimpfte weiter vor sich hin, doch Entreri grinste nur, was Dahlia natürlich noch mehr aufregte.
»Du hast deine eigene Ausrede umgebracht«, stellte er fest.
Dahlia sah ihn sichtlich verwirrt an. Sie wollte etwas erwidern, geriet jedoch ins Stottern.
»Deine Ausrede für deine Wut«, sagte der Meuchelmörder. »Du hattest deine Rache, hast aber schlechtere Laune als zuvor. Denn jetzt fehlt dir etwas. Du hast die ganze Zeit auf deine Rache hingelebt, und hat die liebe Dahlia jetzt noch etwas, worüber sie sich aufregen kann?«
Sie sah ihn nicht an.
»Hast du Angst, selbst für dein Tun verantwortlich zu sein?«
»Bist du jetzt wirklich ein Philosoph?«, fuhr sie ihn wütend an.
Entreri zuckte nur mit den Schultern, worauf Dahlia wieder den Blick abwandte.
Es folgte ein langes, lastendes Schweigen.
»Was ist mit dir?«, fragte sie schließlich und riss Entreri damit aus seinen ganz persönlichen Gedanken.
»Mit mir?«, wiederholte er.
»Was nährt deine Wut?«
»Wer sagt, dass ich wütend bin?«
»Ich kenne dich schon ein Weilchen«, sagte Dahlia. »Ich habe mit dir gekämpft. Ich habe gesehen, was du mit den Tayern angestellt hast. Das war kein zufriedener Mann.«
»Ich war ein Sklave«, erwiderte Entreri. »Kannst du es mir verdenken?«
Dahlia wollte etwas sagen, schwieg jedoch. »Wie hast du es überwunden?«, fragte sie schließlich. »Die Wut, den Verrat? Wie hast du deinen Frieden gefunden?«
»Ich habe dir geholfen, Erzgo Alegni zu töten.«
»Nicht diesen Verrat«, sagte Dahlia offen.
Entreri wippte an die Wand zurück. Er sah sich nach allen Seiten um und war vorübergehend wirklich sprachlos.
»Es war mir scheißegal«, antwortete er irgendwann.
»Das glaube ich dir nicht.«
»Kannst du aber.«
»Nein«, sagte sie leise und sah Entreri an, bis er ihren Blick schließlich erwiderte.
»Es war mein Onkel«, räumte er schließlich zum ersten Mal im Leben ein. »Und meine Mutter.«
Dahlia war verwirrt.
»Er … er hat mich bestohlen, und sie hat mich in die Sklaverei verkauft – an andere, die mich ebenfalls … bestohlen haben«, erklärte Entreri.
»Deine Mutter?« Dahlia war sprachlos.
»Du hast deine Mutter geliebt so wie ich einst meine eigene«, überlegte Entreri.
»Sie wurde erschlagen, von Erzgo Alegni geköpft, nachdem …« Ihre Stimme wurde leiser, und sie starrte zu Boden.
»Nachdem er dich … bestohlen hat«, sagte Entreri.
Dahlia sah ihn scharf an. »Du hast doch keine Ahnung!«
»Oh, doch, und das weißt du genau«, sagte Entreri. »Und du bist die Erste, der ich je etwas davon erzählt habe.«
Bei dieser Enthüllung wurde ihr Gesicht sanfter.
Entreri lachte. »Vielleicht sollte ich dich jetzt umbringen, um mein Geheimnis zu bewahren.«
»Versuch’s doch«, entgegnete sie, was Entreri noch breiter grinsen ließ, weil ihre Stimme ihm verraten hatte, dass sein Vertrauen ihr eine Last von den Schultern genommen hatte.
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