Charons Klaue
»Ich habe noch genug Wut in mir, um mit deinesgleichen fertigzuwerden.«
Artemis Entreri rollte sich auf die Seite, bis sein Gesicht dicht vor ihrem war. »Dann spute dich«, sagte er und zeigte in den Tunnel, durch den Dahlia in das Versteck geklettert war. »Denn da hinten liegt Gauntlgrym, nicht weit von hier, und da warten das feurige Ungeheuer und das Ende von Charons Klaue, und damit das Ende von Artemis Entreri.«
Dahlia verpasste ihm eine Ohrfeige, die sie beide überraschte.
Entreri lachte nur, worauf sie noch einmal zuschlagen wollte, aber er hielt sie fest.
Sie starrten einander in die Augen, die Gesichter nur einen Fingerbreit voneinander entfernt. Entreri nickte und verzog den Mund, während Dahlia mit Tränen in den Augen den Kopf schüttelte.
»Es wird Zeit«, sagte Entreri zu ihr. »Vertrau mir. Es ist schon lange überfällig.«
Tausend Fragen trieben Drizzt durch die Gänge zurück, doch das Wichtigste war die Sinnlosigkeit seines gegenwärtigen Unterfangens. Warum war er überhaupt hier?
Darauf fand er keine Antwort, und so schob er seine Zweifel hartnäckig beiseite und achtete darauf, sich nicht zu plastisch auszumalen, wie Artemis Entreri tot zu seinen Füßen lag, so angenehm das auch sein mochte.
Er kannte sich hier zwar noch immer nicht aus, aber die Umgebung kam ihm doch vertraut vor und erinnerte ihn an die besseren Teile seiner letzten Reise hierher. Er erinnerte sich an Bruenors Gesicht beim Anblick von Gauntlgrym, an die hohe Mauer, die an eine Burg erinnerte, stattdessen aber eine gewaltige Höhle verbarg.
Er dachte an den Thron im Eingangsbereich, und wieder fiel ihm Bruenors strahlendes Gesicht ein.
»Ich habe es gefunden, Elf«, flüsterte Drizzt in den schwarzen Gang, nur um diese Worte noch einmal zu hören, denn er hatte noch nie etwas gehört, was so siegessicher klang.
Je weiter er sich von seinen Begleitern entfernte, desto mehr hellte sich seine Stimmung auf. Wie konnte es auch anders sein, wenn der Geist von Bruenor Heldenhammer und die Erinnerung an ihn so nahe waren?
»Ist dein Herz schwer, Drizzt Do’Urden?«, fragte eine fremde weibliche Stimme unerwartet aus der Dunkelheit.
Sofort ging Drizzt in die Hocke und schlich näher an die Wand, um Deckung zu suchen. Er sah sich nach allen Seiten um und hatte beide Hände an den Säbeln, die er jedoch nicht ziehen wollte, weil er fürchtete, dass Blaues Licht ihn vollständig verraten würde.
»Ich wusste, dass ich dich allein antreffen würde«, fuhr die Frau fort. Sie hatte einen deutlichen Akzent und verschluckte die Konsonanten so sehr, dass es den Drow geradezu schüttelte. Er kannte sie nicht. Woher mochte sie stammen? »Es ist gar nicht so schwer, Drizzt Do’Urden in diesen Zeiten allein vorzufinden, nicht wahr?«
Da er glaubte, diesmal zumindest die Richtung zu kennen, aus der die Stimme kam, wagte Drizzt sich ein wenig vor und hielt sich bereit, um im Zweifelsfall angreifen zu können.
»Immer langsam«, sagte die Frau, als könnte sie seine Gedanken lesen. Diesmal kam die Stimme aus einem ganz anderen Bereich des dunklen Gangs, doch sie hätte sich unmöglich dorthin bewegen können, ohne dass er sie dabei hörte oder sah.
Vielleicht war es eine Art Zaubermantel oder Unsichtbarkeitszauber, aber wahrscheinlich doch eher magisches Bauchreden.
Eine Zauberin also, dachte Drizzt und wusste, dass er doppelt auf der Hut sein musste.
»Ich bin nicht gekommen, um zu kämpfen«, erklärte sie. »Ich will dir nichts tun.«
»Wer bist du? Kommst du aus Tay, oder bist du eine Shadovar?«
Ihr Lachen begann hinter ihm, ertönte aber bald wieder vom ursprünglichen Ort vor ihm. »Muss ich denn eins von beidem sein?«
»In letzter Zeit waren das diejenigen, die sich am meisten für mich interessiert haben«, sagte er.
Sie lachte erneut. »Ich komme aus dem Schattenreich. Von einem, der nicht dein Feind ist, auch wenn du etwas hast, was er braucht.«
Drizzt erstarrte. Nach Arunikas Warnung wusste er, worum es ging. »Das Schwert«, sagte er.
»Es ist eine Nesser-Waffe.«
»Es ist böse.«
»Darüber urteile ich nicht. Wir hätten es gern zurück.«
»Ihr bekommt es nicht.«
»Bist du sicher?«
Diese Frage verunsicherte ihn etwas.
»Bedeutet es dir so viel?«, fragte die Frau jetzt hinter ihm, und angesichts seiner letzten Erwiderung drehte er sich blitzschnell zu ihr um. Er war bereit. War sie schnell genug, ihm Charons Klaue aus der Scheide auf seinem Rücken zu entwenden? »Bist du dem Mann, den du
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