Charons Klaue
Stäbe vor Energie strahlten. Wenn er genau hinsah, konnte er die Augen hinter diesen Stäben ausmachen und die Bewegungen des Miniaturpanthers erkennen. Das war Guenhwyvar. Sein Herz wusste, dass dies keine Täuschung war.
Er hob die Hand zur Schulter und verharrte am Griff von Charons Klaue. Was kümmerte ihn das Schwert? Was kümmerte ihn Artemis Entreri? War Guenhwyvar nicht mehr wert als tausend Entreris? Er war diesem Mann nichts schuldig. Konnte er das auch von Guenhwyvar behaupten?
»Gib sie mir, dann ziehe ich mich aus eurem Kampf zurück …«, setzte er an, während seine Hand sich um den eingewickelten Griff von Charons Klaue schloss, aber die Worte blieben ihm im Hals stecken. Er dachte an Dahlia. Er musste natürlich auch sie hier herausholen.
Aber würde sie mitkommen? Würde sie Artemis Entreri im Stich lassen?
Drizzt dachte an einen Goblin, den er vor langer Zeit und fernab von hier kennen gelernt hatte. Ein entlaufener Sklave, kein normaler Goblin, sondern einer, der ihm selber ähnelte, so wichtig war es ihm, sich seinem ehrlosen Volk zu entziehen. Diesen Goblin hatte er im Stich gelassen, und man hatte ihn gehängt.
Ein Sklave.
Artemis Entreri war Alegnis Sklave gewesen, ein Sklave von Charons Klaue. Konnte Drizzt ihn wirklich wieder diesem Schicksal überlassen, was auch immer er dafür bekäme?
Aber hatte Guenhwyvar das hier verdient? Hatte sie es verdient, in einem winzigen Käfig auf und ab zu laufen?
»Ich warne dich. Mit meinen Auftraggebern ist nicht zu spaßen«, sagte die Frau, als sie sein Zögern bemerkte. »Deine kostbare Guenhwyvar ist in diesem Zustand nicht unsterblich – in einer Grube des Schattenreichs angekettet, von Schattenhunden umringt, die sie nur zu gern zerreißen würden. Wer kriegt sie eher, die Hunde oder Erzgo Alegni, der schon bald wieder ganz der Alte sein wird?«
Drizzt wollte etwas erwidern. Einerseits wollte er Charons Klaue ziehen und sie der Frau zu Füßen werfen. Was schuldete er Artemis Entreri?
Doch andererseits konnte er das nicht. Er konnte den Mann nicht wieder der Sklaverei ausliefern. Er konnte nicht ein Leben gegen das andere tauschen.
So blieb er reglos stehen. Langsam schüttelte er den Kopf.
»Wie dumm von dir«, raunte die Frau. »Du hältst an einer Moralvorstellung fest, die Barrabas der Graue nicht verdient, und das auf Kosten deiner geliebten Guenhwyvar. Was bist du für ein jämmerlicher Freund, Drizzt Do’Urden!«
»Gib sie mir einfach«, bat Drizzt leise.
»Überleg es dir gut«, erwiderte die Frau. »Überleg dir, ob du noch schlafen kannst. Denn du wirst von Guenhwyvar träumen, in der Grube angekettet, wo hungrige Hunde sie zerfleischen und ihr die Beine ausreißen. Hörst du ihr Gebrüll, Drizzt Do’Urden? Wird der qualvolle Tod von Guenhwyvar dich den Rest deines jämmerlichen Lebens verfolgen? Ich glaube schon.«
Drizzt hatte das Gefühl zu schrumpfen, immer kleiner zu werden, als würde er im Boden versinken, und in diesem furchtbaren Moment wünschte er wirklich, der Boden täte sich vor ihm auf.
»Vielleicht sprechen wir uns wieder«, sagte die Frau. »Ich werde zurückkommen, falls es mir gelingt, bevor deine Guenhwyvar tot ist. Oder Fürst Alegni findet euch drei und holt sich das Schwert. Er wird dich sicher nicht töten, ohne dir zu gestatten, Guenhwyvars Tod mit anzusehen.«
Mit diesen Worten verschwand sie, und jetzt war Drizzt wirklich allein. Er fuhr herum und prüfte eilends jeden Schatten.
Wie hatte er das tun können? Wie konnte er nur das Schwert wählen und Artemis Entreri seiner treuen Guenhwyvar vorziehen?
Was für ein jämmerlicher Freund Drizzt Do’Urden doch war!
17
Das Netz der Drow
Ravel lief, so schnell er konnte, denn die Vollendung dieser Meisterleistung wollte er unbedingt sehen. Sie hatten eine Höhle entdeckt, welche den Bereich der Schmiede von den bisher unerforschten höheren Bereichen abtrennte. Einige Adlige hatten ihre Hausinsignien dazu genutzt, zur Decke emporzuschweben, und festgestellt, dass dieser Ort tatsächlich die Trennlinie zwischen den beiden Abschnitten des ausgedehnten Komplexes darstellte. Die lange Wendeltreppe aus Eisen, die den Zugang gewährleistete, war jedoch zerstört worden, und zwar offenbar erst während der jüngsten Katastrophe.
Erste Berichte hatten behauptet, die Treppe sei nicht mehr zu reparieren, und einige Handwerker hatten für die Errichtung einer entsprechenden neuen Treppe mehrere Monate veranschlagt. Der Erfindungsgeist und der
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