Charons Klaue
die Schwächung war am Zustand von Syloras Festung abzulesen –, aber eine derart dramatische Veränderung hatte sie nicht erwartet. Wo zuvor eine Todeszone gelauert hatte, ein schwarzes Aschefeld, das die vernichtende Energie von Nesser ausstrahlte, schien nun ein Ort zu liegen, der vielleicht einem Waldbrand zum Opfer gefallen war. Noch immer war alles schwarz und stank nach Asche, aber es war anders als zuvor und für Erzgo Alegnis Soldaten lange nicht mehr so herausfordernd.
Arunika spazierte über die schwarze Erde, was sie noch vor wenigen Tagen nicht gewagt hätte. Damals war die schwarze Magie, die der Ring ausstrahlte, zum Greifen nah gewesen, und der Ring hatte Sylora und Szass Tam gedient. Arunika wusste genug über die Eingriffe von Tay in den feinen Schleier zwischen Leben und Tod, um zu verstehen, dass ein derartiger Todesring für seine Herren viele Aufgaben übernehmen konnte, nicht nur die Macht, eine Festung zu erbauen und über Untote zu herrschen, magische Gegenstände zu erschaffen, deren Energie ihren Feinden die Lebenskraft entzog, sondern auch die Macht zu spionieren und zu manipulieren. Das Betreten von Sylora Salms Todesring hätte Sylora und Szass Tam viel über Arunika verraten, und sie hätten womöglich ähnlich gewaltsam in ihren Geist eindringen können, wie der Aboleth es bei Valindra getan hatte.
Aber jetzt nicht mehr, das wusste der Sukkubus. Es gab noch eine gewisse Macht, aber die konnte jemandem wie ihr nicht gefährlich werden. Sie setzte ihren Weg durch den schwarzen Fleck fort, bis ein Rascheln ihre Aufmerksamkeit erregte. Vorsichtig ging Arunika dem Geräusch nach.
Den merkwürdigen Anblick, der sich ihr bot, begriff sie nicht gleich, denn sie sah eine Frau in einer zerrissenen, ehemals prachtvollen Robe. Erschrocken erkannte Arunika Sylora Salm – oder das, was von ihr noch übrig war. Die Tote wies zahlreiche schwere Verletzungen auf, Verbrennungen und Explosionswunden, doch all das verblasste vor dem Gesamtbild. Denn Sylora war nach hinten gebogen, als hätte ein mächtiges Geschöpf, vielleicht ein Riese oder ein Teufel, sie einfach in Höhe der Taille abgeknickt.
Arunika kicherte unwillkürlich, als Sylora sich bewegte, so lächerlich wirkten ihre Kriechversuche. Nach wenigen Zoll kippte sie wieder auf die Seite und begann von neuem zu zappeln, weil der Zombie – ein armseliges, untotes Wesen, das von der verbliebenen Macht des Todesrings zum Leben erweckt worden war – sich auf den nächsten kurzen Satz vorbereitete.
Der Sukkubus nickte und betrachtete Valindras gegenwärtigen Geisteszustand im Licht dieser neuen Informationen.
Sie überlegte, ob sie die untote Sylora gnadenhalber vernichten sollte, rümpfte dann jedoch die Nase und entfernte sich kopfschüttelnd. Als Bewohnerin der unteren Ebenen hatte Arunika für Gerechtigkeit wenig übrig, doch sie hatte einen gewissen Sinn für die Vorstellung von kosmischem Karma. Sylora Salm, die so viele Tote zu Untoten versklavt hatte, so jämmerlich dahinkriechen zu sehen, erfreute den Sukkubus. Was auch immer es für Arunikas Pläne insgesamt zu bedeuten hatte, ob es gut oder schlecht war – dieser Teil von Syloras Ende gefiel ihr.
Die Teufelin ließ den grotesken, krabbenartigen Zombie hinter sich und schlug den Weg nach Niewinter ein. Sie dachte über Erzgo Alegnis aktuelle Position nach. Vielleicht würden die Tayer mit neuer Macht zurückkehren. Vielleicht würde Szass Tam einen anderen mächtigen Zauberer ernennen oder den Wiederaufbau seines Todesrings gar selbst überwachen.
Zweifelnd schüttelte sie den Kopf, denn selbst wenn es dazu kommen sollte, würde das noch lange dauern, zumindest im Vergleich zu den schnellen Entwicklungen in Niewinter.
Der Köder für Alegni war verschwunden.
Was bedeutete das? Was bedeutete es für sie? Sie dachte an die vielen Möglichkeiten und Wege, die sich ihr nun eröffneten.
»Er ist schwächer«, erklang hinter ihr eine vertraute Stimme.
»Invidoo«, erwiderte Arunika und sprach damit den wahren Namen des Teufelchens aus, der ihr große Macht über den frechen kleinen Kerl verlieh. Sie drehte sich nach ihm um und schüttelte wissend den Kopf, als sie die offenen Wunden und die zerrissenen Hautfetzen betrachtete, die das kleine Wesen immer noch bedeckten. Diese Verletzungen waren das Werk von Sylora Salm.
»Sie ist besiegt.«
»Sie ist tot«, korrigierte Arunika.
»Ja!«, zischte Invidoo zufrieden. »Sylora Salm ist besiegt und tot und aus dem Weg, und Invidoo hat
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