Charons Klaue
mehrere Stäbe herausgerissen oder stark aufgebogen waren.
»Durch dieses Gitter bin ich gekommen«, flüsterte Entreri den anderen gerade so laut zu, dass er über das Raunen des Flusses hinweg zu hören war. »Auf meiner Flucht vor dem Vulkan.« Er tippte mit seinem Langschwert gegen eine der Stangen und knickte sie weit zur Seite. »Das war ich.«
»Offenbar hat die Lava hinterher noch einiges angerichtet«, sagte Drizzt, denn es waren nur noch zwei von acht Stangen unversehrt, und die, auf die Entreri gezeigt hatte, bot nicht den leichtesten Durchgang. Der Boden war teilweise von erstarrter, schwarzer Lava bedeckt, welche die Öffnung nach oben hin verengte. Auch das Flussbett war enger, weil das Gestein das Wasser nach oben verdrängt hatte, so dass es jetzt näher am Ausstieg floss als damals.
Dennoch fiel es Drizzt leicht, sich hindurchzuziehen, und er hielt sich an dem Gitter fest, als er auf die Böschung kroch.
Der geflügelte Lindwurm, der Alegnis Brücke kennzeichnete, ragte über ihm auf, und gleich rechts von ihm war der Pfad zum Anfang der Brücke gut zu erkennen. Die Büsche am Ufer boten ihm ausreichend Schutz, unbemerkt dort anzukommen.
Obwohl Dahlia diese Auseinandersetzung so wichtig war, stieg sie als Letzte aus dem Tunnel und ans Flussufer und drängte die anderen auch nicht, schneller zur Brücke zu eilen.
Das war der Kampf, auf den sie ihr ganzes Leben lang hingearbeitet hatte, die Chance, es dem Vergewaltiger und Mörder endlich heimzuzahlen. Jetzt aber wurde ihr schon bei dem Gedanken daran regelrecht übel, denn sie hing zwischen bitterem Hass und salzigen Tränen fest, dem Wunsch nach ihrer Rache und der unausgesprochenen Angst, die sie nicht einmal sich selbst eingestehen mochte, dass diese Rache eben nicht süß sein würde.
Doch wenn dieser Geschmack ihr gebrochenes Herz nicht zu heilen vermochte, was bliebe ihr dann noch?
Die Kriegerin musste sich zusammenreißen, als sie tief geduckt durch das Gebüsch schlich. Erst als Entreri sie an der Schulter berührte und mit einem Nicken ihren Blick in eine bestimmte Richtung lenkte, bemerkte sie die große Gestalt, die ganz allein in der Mitte der langen Brücke stand.
Dahlia schrak zurück. Plötzlich war sie wieder das hilflose Kind, das Erzgo Alegni mit seinem schweren Leib so mühelos überwältigt hatte.
Vor ihrem inneren Auge erlitt ihre Mutter erneut den Tod.
Sie hielt ein Kind in den Armen, und der Wind blies ihr ins Gesicht, die tiefe Schlucht unter ihr …
Sie hatte keine Ahnung, wie viel Zeit verstrichen war, doch es war zu viel gewesen, denn jetzt stieß nicht nur Entreri sie an, sondern auch Drizzt, der vorangeschlichen war und nun zurückkehrte.
Schnell hob Dahlia eine Hand und wischte sich die Tränen aus den Augen. Vor diesen beiden konnte sie die feuchten Augen nicht verbergen, dazu saßen sie zu nahe beieinander und waren zu aufmerksam. Auf ihren Gesichtern malten sich Verwirrung und Mitleid.
Die Elfe atmete tief durch. Ein leises Knurren drang von ihren Lippen. Sie verwandelte ihren Schmerz in Wut und gebot den beiden mit grimmigem Gesicht weiterzugehen.
Sie musste hinter ihnen bleiben, sagte sie sich. Sie würde die Männer als Schild gegen den Jähzorn benutzen, der sie sonst zwingen würde, kopflos auf Alegni zuzulaufen und damit in den sicheren Tod.
Der Großteil der Stadt schlief noch. Die meisten Fenster waren dunkel, und abgesehen von der einsamen Gestalt am Geländer der großen Bogenbrücke war keine Menschenseele zu sehen. Der Osthimmel leuchtete, denn bald würden die ersten Strahlen der Morgensonne über die Bäume von Niewinter dringen und lange Schatten in Richtung Schwertküste werfen.
Drizzt sah Entreri an. Seine Finger bewegten sich langsam und deutlich in der Zeichensprache der Drow, als er den Meuchelmörder wortlos fragte, ob ein derart stiller Morgen für Niewinter tatsächlich typisch war.
Entreri, der diese Verständigungsweise nur bruchstückhaft beherrschte, zuckte unverbindlich mit den Schultern, ehe er sich von Dahlia ablenken ließ, die nun neben ihm auftauchte.
Dem vorsichtigen Waldläufer kam das alles zu einfach vor, zu glatt. Wieder betrachtete er Entreri und fragte sich, ob Dahlias Wunsch nach diesem Kampf womöglich ihrer beider Urteilsvermögen getrübt hatte. Hatte Entreri sie in eine Falle gelockt?
Diesen Gedanken schüttelte Drizzt sofort wieder ab. Der Schmerz auf Entreris Gesicht war echt. Dieser Mann wollte Erzgo Alegni fast ebenso inständig tot sehen wie
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