Charons Klaue
die man auf der Trage aus der Kanalisation geschleppt hatte.
»Besser!«, erklärte Ambergris breit grinsend. »Hätte ich nicht gedacht, als ich sie zum ersten Mal gesehen habe, mit dem ganzen Schlamm und den dreckigen Wunden. Aber sie wird’s überleben, keine Bange!«
Drizzt nickte erleichtert.
»Ich hab noch ein paar Heilzauber für dich übrig, Waldläufer«, versprach Ambergris mit übertriebenem Augenzwinkern. »Dich haben wir bald wieder reisefertig, wo auch immer die Reise hingehen mag.«
»Ich bin nicht verletzt«, wehrte Entreri die rothaarige Frau unwirsch ab, die ihm eine dampfende Tasse mit einer Art Kräutertee oder Aufguss hinhielt.
»Du bist von der Brücke gewankt«, erwiderte Arunika. »Erzgo Alegni hat dich mit seinem verfluchten Schwert schwer verwundet.«
Sie hielt ihm die Tasse hin, und er versuchte, sie wegzustoßen.
Er hätte genauso gut versuchen können, ein Haus wegzustoßen, denn Arunikas Arm bewegte sich keinen Deut.
»Trink«, befahl sie. »Benimm dich nicht so kindisch. Wir haben noch viel zu tun.«
»Ich bin dieser Stadt nichts schuldig.«
»Niewinter ist dir etwas schuldig, und das ist uns bewusst«, erwiderte Arunika. »Deshalb bin ich mit meinem Tee hier. Deshalb kümmern sich die Heiler um deine Freunde und wenn nötig auch um dich.«
»Nicht nötig.«
Die Frau mit den roten Haaren nickte und nickte noch einmal, als der Sturkopf endlich doch die Tasse nahm und trank.
»Erzähl mir von dir, Barrabas der Graue«, hakte sie nach. »Ich war ehrlich überrascht, als du Alegni verraten hast – ich hielt dich für seinen Knappen.«
Entreris Gesicht verhärtete sich.
»Dann eben seinen Ritter, wenn diese Beschreibung deinem dummen Stolz besser zusagt«, lachte Arunika. »Aber erzähl mir doch von deinen Reisen und wie es kam, dass du der Held eines Nesser-Fürsten wurdest. Denn du bist kein Schatten, auch wenn deine Haut für einen Menschen ein bisschen zu grau ist.«
»Dir etwas erzählen?« Entreri lachte nur. »Du bringst mir einen Tee und glaubst, du wärst meine Verbündete? Habe ich um ein solches Bündnis gebeten?«
»Die besten Partner kommen oft unerwartet und ungeladen.«
Diese Worte überdachte Entreri im Hinblick auf die beiden Kameraden, die ihm auf der Brücke gegen Erzgo Alegni beigestanden hatten, und er lächelte. »Ich brauche keine Verbündeten, Frau«, sagte er. »Alegni ist fort, und ich bin frei, zum ersten Mal seit sehr langer Zeit.«
»Er war dein Verbündeter«, widersprach die Frau.
Entreri sah sie wütend an.
»Was dann?«, fragte sie. »Ich möchte es wissen.«
Plötzlich fühlte sich Artemis Entreri gezwungen, ihr alles über diese Beziehung zu Erzgo Alegni zu verraten, und hätte auch beinahe damit angefangen. Dann aber schrak er davor zurück, denn er kam sich vor wie bei den vielen Malen, da Charons Klaue in seine Gedanken eingedrungen war.
Er sah Arunika so misstrauisch an, als wäre sie eine Hexe.
»Du hast dazu beigetragen, dass Erzgo Alegni in Niewinter Fuß fassen konnte«, fuhr Arunika rasch fort. »Ohne Barrabas den Grauen, den Helden des Volkes, hätte er hier in der Stadt nie so viel Rückhalt genossen.« Ihr Tonfall hatte sich plötzlich verändert, bat um Einfühlungsvermögen, und Entreri kam sich töricht vor. »Und jetzt ist Alegni verschwunden, und unsere Anführer haben mich gebeten, mich um dich zu kümmern«, fuhr Arunika fort. »Ich wäre eine schlechte Heilerin und würde meine Mitbürger verraten, wenn ich nicht nachfrage – und warum sollten wir es nicht erfahren?«
»Er war mein Sklavenhalter, nicht mehr und nicht weniger«, antwortete Entreri, noch ehe ihm seine eigenen Worte bewusst waren. Er sah Arunika verwundert an, kam aber sogleich zu dem Schluss, dass sie eine vertrauenswürdige, einfühlsame Zuhörerin war. »Und jetzt ist er weg. Den Großteil meines Lebens war ich allein auf mich gestellt. Das ziehe ich vor, und ich brauche keine Verbündeten, weder dich noch andere aus der Stadt.« Er wollte trotzig klingen, doch das gelang ihm nicht.
»Dann eben keine Verbündeten«, erwiderte Arunika. Sie schob ihr Gesicht an Entreri heran und flüsterte vielsagend: »Aber eine Freundin.«
»Ich brauche keine Freunde.«
Arunika lächelte und kam noch näher. »Was brauchst du denn, Barrabas der Graue?«
Artemis Entreri wollte ihr sagen, dass Barrabas der Graue nicht sein wahrer Name war. Er wollte ihr noch einmal sagen, dass er sie nicht brauchte. Er wollte verschwinden, aber sie kam auf ihn zu.
Er wollte
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