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Chasm City

Chasm City

Titel: Chasm City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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entdeckte mich zuerst und stieß einen Schrei der Freude oder der Wut aus. Sie hob den Arm, und ihre kleine Pistole sprang aus einem Ärmelhalfter in ihre Hand. Fast gleichzeitig erhellte ein greller Blitz den Raum und stach mir schmerzhaft in die Augen.
    Der erste Schuss traf die Treppe unter mir und ließ die ganze Konstruktion wie einen Schneewirbel in sich zusammenfallen. Sybilline musste sich ducken, um nicht von den Trümmern getroffen zu werden, doch dann zog sie ein weiteres Mal den Abzug durch. Ich war bereits halb durch die Decke, hing mit dem Oberkörper im darüber liegenden Raum und suchte mit den Händen irgendwo Halt, als sich ihr Schuss in meinen Oberschenkel fraß. Zuerst spürte ich nur ein leichtes Ziehen, doch dann erblühte der Schmerz wie eine Blume in der Morgensonne.
    Ich ließ die Armbrust fallen. Sie rollte hinunter bis zum Treppenabsatz, dort kam ein Schwein aus der Dunkelheit und schnappte sie sich mit triumphierendem Schnauben.
    Fischetti hob seine Waffe, ein dritter Schuss krachte, und damit war es auch um den Rest der Treppe geschehen. Hätte er etwas besser gezielt – oder wäre ich langsamer gewesen –, der Schuss hätte auch meinem Bein den Rest gegeben.
    Stattdessen unterdrückte ich den Schmerz, zog mich vollends durch die Decke und lag ganz still. Ich hatte keine Ahnung, was für eine Waffe die Frau verwendet hatte; ich wusste nicht, ob meine Wunde von einem Projektil oder von einem Laser- oder Plasma-Strahl stammte und wie schwer sie war. Wahrscheinlich blutete sie, aber meine Kleider waren so durchnässt, und die Fläche, auf der ich lag, war so feucht, dass ich nicht feststellen konnte, ob ich Blut oder nur Nässe spürte. Aber das war zunächst auch nicht so wichtig. Ich war entkommen, wenn auch nur so lange, bis meine Verfolger einen Weg zu diesem Stockwerk fanden. Da sie Pläne des Gebäudes hatten, würden sie bald da sein, vorausgesetzt, es gab überhaupt einen Zugang.
    »Stehen Sie auf, wenn Sie können.«
    Die ruhige Stimme war mir unbekannt. Sie kam auch nicht von unten, sondern ich hörte sie über mir.
    »Kommen Sie schon; wir haben nicht viel Zeit. Ach, warten Sie. Sie können mich wahrscheinlich nicht sehen. Geht es jetzt besser?«
    Ein Licht flammte auf, so grell, dass ich nur noch die Augen zukneifen konnte. Vor mir stand eine Frau, wie alle Spieler aus dem Baldachin in düsteres Schwarz gekleidet: dunkle, bis zu den Oberschenkeln reichende Stiefel mit übertrieben hohen Absätzen, ein pechschwarzer, bodenlanger Wintermantel mit einem Stehkragen, der hinter dem Kopf aufragte, auf dem Kopf ein Helm, nicht massiv, sondern eher ein schwarzes Tüllgitter mit einer Schutzbrille, die wie die Facettenaugen bei einem Insekt das halbe Gesicht bedeckte. Was er vom Gesicht noch sehen ließ, war totenblass, ja weiß, wie eine Kreidezeichnung. Schräg über beide Wangenknochen lief eine schwarze Tätowierung, die sich zu den Lippen hin verjüngte. Die Lippen waren im dunkelsten Purpurrot geschminkt, das man sich vorstellen konnte.
    In einer Hand hielt sie ein riesiges Energiegewehr. Die rußgeschwärzte Mündung zielte auf meinen Kopf. Aber ich hatte nicht den Eindruck, dass sie mich damit bedrohen wollte.
    Die andere Hand – sie steckte in einem schwarzen Handschuh – streckte sich mir entgegen.
    »Ich sagte, Sie sollen aufstehen, Mirabel. Es sei denn, Sie wollen hier sterben.«
 
    Sie kannte das Gebäude oder zumindest diesen Teil davon. Wir brauchten nicht weit zu gehen. Das war auch gut so, denn die Fortbewegung war inzwischen nicht mehr meine Stärke. Ich kam irgendwie voran, wenn ich mich fest gegen eine Wand stützte und das verletzte Bein möglichst wenig belastete, aber von Schnelligkeit oder Eleganz konnte dabei nicht die Rede sein, und ich wusste, dass ich das allenfalls fünfzig Meter durchhalten konnte, bevor Blutverlust, Schock oder Erschöpfung ihren Tribut forderten.
    Sie führte mich eine weitere – diesmal intakte – Treppe hinauf, und dann traten wir ins Freie. Dass ich die Nachtluft in meinen Lungen als erfrischend kühl und sauber empfand, mag verdeutlichen, durch wie viel Dreck ich in den vergangenen Minuten gegangen war. Doch ich befand mich am Rand einer Ohnmacht, und ich hatte immer noch keine Vorstellung, was da eigentlich passierte. Auch als die Frau mir eine kleine Seilbahngondel in einer Höhle voller Schutt in der Seitenwand des Gebäudes zeigte, wollte es mir nicht so recht in den Kopf, dass ich gerettet werden sollte.
    »Warum tun Sie

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