Chasm City
das?«, fragte ich.
»Weil das Große Spiel stinkt«, sagte sie und hielt inne, um dem Gefährt einen unhörbaren Befehl zu geben. Es erwachte mit einem Ruck zum Leben, fasste mit den eingezogenen Greifarmen in das Geschlinge, das von der Höhlendecke hing, und glitt geschmeidig auf uns zu. »Die Spieler glauben, sie hätten die stillschweigende Unterstützung des gesamten Baldachins, aber das ist ein Irrtum. Vielleicht war es einmal so, als es noch nicht ganz so barbarisch zuging, aber das ist vorbei.«
Ich ließ mich in die Gondel fallen und blieb auf dem Rücksitz liegen. Jetzt sah ich, dass meine Eisbettlerhosen so mit Blut durchtränkt waren, als wären sie verrostet. Aber die Wunde schien nicht weiter zu bluten, und ich fühlte mich zwar schwindlig, aber es war in den letzten Minuten nicht schlimmer geworden.
Sie zog sich auf den Pilotensitz und schaltete die Steuerung ein.
»Gab es denn eine Zeit, zu der es nicht barbarisch war?«, fragte ich.
»O ja – unmittelbar nach der Seuche.« Sie ergriff mit den behandschuhten Händen zwei identische Messingknüppel und schob sie nach vorne, die Gondel glitt mit schnarrenden Greifarmen aus der Höhle. »Damals waren die Opfer Verbrecher; Mulcher, die in den Baldachin eindrangen oder sich an ihresgleichen vergingen; Mörder, Vergewaltiger oder Plünderer.«
»Und das rechtfertigt alles?«
»Ich will es nicht entschuldigen. Keineswegs. Aber zumindest herrschte noch so etwas wie ein moralisches Gleichgewicht. Die Opfer waren Abschaum und die Jäger desgleichen.«
»Und heute?«
»Erstaunlich, wie gesprächig Sie noch sind, Mirabel. Die meisten Leute schreien nur noch, wenn sie einen solchen Schuss abbekommen haben.« In diesem Augenblick verließen wir die Höhle, und die Gondel sackte schwindelerregend in die Tiefe, bis sie ein Kabel fand und sich abfing. Von da an ging es nach oben. »Um Ihre Frage zu beantworten«, sagte sie, »es wurde zunehmend schwieriger, geeignete Opfer zu finden. Deshalb wurden die Organisatoren weniger – wie soll ich sagen? – weniger wählerisch.«
»Ich verstehe«, sagte ich. »Nur zu gut sogar, denn mein einziges Verbrechen bestand darin, dass ich mich in den falschen Teil des Mulch verirrt hatte. Wer sind Sie überhaupt? Und wo bringen Sie mich hin?«
Sie hob die Hand und nahm den Gitterhelm und die Facettenbrille ab. Als sie sich mir nun zuwandte, konnte ich sie zum ersten Mal richtig ansehen. »Ich heiße Taryn«, sagte sie. »Aber meine Freunde in der Sabotagebewegung nennen mich Zebra.«
Jetzt erinnerte ich mich, dass ich sie in dieser Nacht schon einmal gesehen hatte. Sie war unter den Gästen im Stängel gewesen. Schon dort war sie mir wunderschön und exotisch erschienen, und jetzt galt das noch viel mehr. Vielleicht lag es daran, dass ich angeschossen worden war und Schmerzen hatte, und dass nach der unerwarteten Rettung noch das Adrenalin durch meine Adern brauste. Wunderschön und sehr fremdartig – und bei richtiger Beleuchtung kaum noch menschlich. Ihre Haut war entweder kreideweiß oder zeigte pechschwarze Zeichnungen im Hard Edge-Stil. Die Streifen bedeckten nicht nur Stirn und Wangen, sondern nach allem, was ich im Stängel gesehen hatte, auch große Teile des Körpers. Von den Augenwinkeln wölbten sich schwarze Bögen nach außen wie ein auffallender, mit pedantischer Sorgfalt aufgetragener Lidstrich. Das Haar war zu einem steifen, schwarzen Kamm geformt, der sich vermutlich auch auf dem Rücken fortsetzte.
»Ich glaube, einer Frau wie Ihnen bin ich noch nie begegnet, Zebra.«
»Das ist noch gar nichts«, sagte sie. »Einige meiner Freunde finden mich ziemlich konservativ, wenig experimentierfreudig. Sie sind kein Mulcher, Mister Mirabel?«
»Sie kennen meinen Namen, was wissen Sie sonst noch von mir?«
»Weniger als mir lieb wäre.« Sie hatte eine Art Autopiloten eingeschaltet, nahm die Hände von der Steuerung und überließ es der Gondel, sich einen Weg durch die Maschen des Baldachins zu suchen.
»Ich dachte, Sie wären der Fahrer?«
»Glauben sie mir, Tanner, es ist alles in Ordnung. Seilbahngondeln haben ein ziemlich intelligentes Steuerungssystem – sie sind fast so schlau wie die Maschinen, die wir vor der Seuche hatten. Aber es empfiehlt sich nicht, sich mit einem solchen Fahrzeug allzu lange im Mulch aufzuhalten.«
»Um auf meine Frage zurückzukommen…«
»Wir wissen, dass Sie in Eisbettlerkleidung in der Stadt eintrafen, und dass ein Mann namens Tanner Mirabel bei den Eisbettlern
Weitere Kostenlose Bücher