Chasm City
war nicht sicher, was sie nach der Untersuchung von mir erwartete, vielleicht stellte sie sich vor, die Fragen des Meistermischers hätten meinem Gedächtnis auf die Sprünge geholfen, und ich wüsste plötzlich wieder, was mit meinen Augen los war und wie es dazu gekommen war. Vielleicht. Und – vielleicht – hatte auch ich das erwartet. Vielleicht hatte ich mich an die Hoffnung geklammert, ich hätte den Zustand meiner Augen nur vorübergehend vergessen, eine verspätete Nachwirkung der Reanimations-Amnesie.
Aber nichts dergleichen geschah.
Ich war nicht klüger als zuvor, nur noch mehr verstört, weil ich nun wusste, dass tatsächlich etwas mit mir vorging, und weil ich nicht länger darüber hinweggehen konnte, dass meine Augen im Dunkeln leuchteten. Denn das war sicher noch nicht alles. Seit meiner Ankunft in Chasm City war mir zunehmend klarer geworden, dass ich über eine Fähigkeit verfügte, die ich früher nie bemerkt hatte: ich konnte im Dunkeln sehen, wenn andere Leute bildverstärkende Brillen oder Infrarot-Overlays brauchten. Zum ersten Mal war mir das aufgefallen – ohne dass ich es bewusst registriert hätte –, als ich das zerstörte Gebäude betreten und mit einem Blick nach oben die Treppe gesehen hatte, die mich in Sicherheit und zu Zebra führte. Das Licht war dafür eigentlich zu schwach gewesen, aber es hatte natürlich mehr als genug andere Dinge gegeben, die mich beschäftigten.
Später, als die Gondel in Lorants Küche gekracht war, hatte sich etwas Ähnliches ereignet. Ich war aus dem zerschellten Fahrzeug gekrochen und hatte das Schwein und seine Frau gesehen, lange bevor sie mich entdeckten – obwohl ich als Einziger keine Nachtbrille trug. Und wieder hatte ich mich in meinem Adrenalinrausch nicht weiter darum gekümmert, obwohl ich es mir zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr so ohne weiteres aus dem Kopf schlagen konnte.
Doch jetzt wusste ich, dass sich in meinen Augen eine tiefgreifende genetische Veränderung vollzog, und dass ich mir nichts von dem, was vorher war, nur eingebildet hatte. Vielleicht waren die Veränderungen auch trotz der lückenhaften Gene, die der Meistermischer festgestellt hatte, bereits abgeschlossen.
»Was immer er Ihnen gesagt hat«, bemerkte Chanterelle, »es war nicht das, was Sie hören wollten, nicht wahr?«
»Er hat mir gar nichts gesagt. Sie waren doch dabei; Sie haben jedes Wort gehört.«
»Ich dachte, Sie könnten vielleicht mit dem einen oder anderen etwas anfangen.«
»Das hatte ich auch gehofft, aber es war nicht so.«
Wir schlenderten zurück auf den freien Platz mit dem Teehaus. Meine Gedanken rasten dahin wie ein ungebremstes Schwungrad. Jemand hatte auf genetischer Ebene an meinen Augen herumgepfuscht und eine fremdartige Entwicklung einprogrammiert. Ob etwa das Haussmann-Virus den Prozess eingeleitet hatte? Möglich wäre es – aber was hatte es mit Sky zu tun, wenn man im Dunkeln sehen konnte? Sky hasste die Dunkelheit, er fürchtete sie mehr als alles andere.
Aber er konnte nicht im Dunkeln sehen.
Die Veränderung konnte nicht erst seit meiner Ankunft auf Yellowstone erfolgt sein, es sei denn, Dominika hätte einen entsprechenden Eingriff vorgenommen, als ich das Implantat herausnehmen ließ. Ich war zwar bei Bewusstsein gewesen, aber doch so desorientiert, dass ich davon nichts bemerkt hätte. Doch auch das passte nicht ins Bild. Die Nachtsichtigkeit war mir schon vorher aufgefallen.
Und wie stand es mit Waverly?
Das war besonders aus chronologischer Sicht durchaus eine Möglichkeit. Ich hatte bewusstlos im Baldachin gelegen, als Waverly das Implantat einsetzte. Damit blieb freilich nur ein Zeitraum von wenigen Stunden zwischen der genetischen Behandlung und dem Einsetzen der physischen Veränderungen im Auge. Wenn man bedachte, dass die Veränderungen als kontrolliertes Wachstum zu begreifen waren, erschien mir das viel zu kurz, aber vielleicht war es doch ausreichend, schließlich war nur ein relativ kleiner Zellbereich betroffen, kein großes Organ und kein größeres anatomisches Areal. Und plötzlich sah ich auch ein zumindest denkbares Motiv dafür. Waverly hatte für beide Seiten gearbeitet, er hatte Zebra auf mich aufmerksam gemacht, um mir eine Chance zu geben, das Große Spiel lebend zu überstehen. Wäre es möglich, dass er mir noch einen weiteren Vorteil hatte verschaffen wollen – indem er mich nachtsichtig machte?
Möglich wäre es, richtig. Es wäre sogar eine tröstliche Vorstellung.
Aber ich war nicht
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