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Chasm City

Chasm City

Titel: Chasm City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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machen, fuhr Sky fort, sobald er ein Shuttle an sich bringen könne, ohne dass jemand etwas von seiner wahren Absicht ahne – schon das erfordere sorgfältige Planung. Außerdem würden sie mehrere Tage abwesend sein, und in dieser Zeit dürfe sie niemand vermissen. Aber der Aufwand würde sich vermutlich lohnen. Das Schiff liege hinter ihnen wie ein fetter Köder, es lade sie förmlich dazu ein, seine Schätze zu plündern. Und er, Sky, wisse als Einziger mit Sicherheit, dass es überhaupt existiere.
    »Weißt du«, murmelte Clown, der wieder bei ihm war, »eine solche Chance nicht zu nützen, wäre geradezu ein Verbrechen.«
 
    Als Sky von mir abließ – in Realzeit hatte die Episode wie üblich nur einen Augenblick gedauert –, griff ich in die Tasche und tastete nach meiner Waffe. Die phallische Bedeutung dieser Geste entging mir nicht, doch ich zuckte nur die Achseln und tat das einzig Sinnvolle: ich ging auf das Licht zu, auf den Eingang in die Zone des Baldachins, in der man mich abgesetzt hatte.
    Ich betrat eine Art Markthalle und bemühte mich, mein Selbstbewusstsein dadurch zu heben, dass ich eine möglichst forsche, großspurige Haltung einnahm. Hier ging es nicht weniger lebhaft zu als im Escher-Turm, obwohl es schon weit nach Mitternacht war. Aber die Architektur war für mich vollkommen neu. Das Gebäude, in dem Waverly mich präpariert hatte, und die geometrischen Formationen, die in Zebras Räumlichkeiten so etwas wie wohnliche Atmosphäre vermitteln sollten, hatten mir einen ersten Vorgeschmack gegeben. Doch hier hatte man das kurvilineare Nebeneinander unversöhnlicher Topologien, darmähnlicher Rohre und teigig-weicher Wände und Decken so auf die Spitze getrieben, dass es mir die Sinne verwirrte.
    Eine Stunde lang schlenderte ich umher, studierte die Gesichter, setzte mich gelegentlich an einen der (offenbar allgegenwärtigen) Karpfenteiche und ließ mir die jüngsten Ereignisse durch den Kopf gehen. Ich gab die Hoffnung nicht auf, dass sich die vielen Teile irgendwann zu einem Bild zusammenfügen würden, das mir zeigte, was hier tatsächlich vorging, und welche Rolle ich dabei spielte. Aber ich fand nur halbgare, lückenhafte Muster, bei denen einzelne Teile fehlten und störende Asymmetrien den Gesamteindruck verdarben. Vielleicht hätte ein intelligenterer Mensch als ich andere Zusammenhänge entdeckt, aber ich war zu müde, um nach kunstvoll verschleierten Verbindungen zu suchen. Ich sah nur die oberste Schicht. Man hatte mich hierher geschickt, um einen Mann zu töten, und bevor ich überhaupt richtig angefangen hatte, nach ihm zu suchen, hatte er plötzlich gegen alle Wahrscheinlichkeit nur wenige Meter entfernt vor mir gestanden. Eigentlich hätte ich mich darüber freuen müssen, auch wenn ich es versäumt hatte, die Gelegenheit zu nützen. Stattdessen war mir die ganze Sache so unheimlich, als hätte ich in einer Pokerpartie gleich beim Ausgeben vier Asse bekommen.
    Ein solcher Glückstreffer konnte nur der Vorbote einer Pechsträhne sein.
    Ich griff in meine Tasche und betastete das Bündel mit den restlichen Geldscheinen. Es war in dieser Nacht merklich dünner geworden – die Kleider und die Beratung des Meistermischers waren nicht billig gewesen –, aber noch saß ich nicht ganz auf dem Trockenen. Ich ging zu dem Sims zurück, wo Chanterelle mich abgesetzt hatte, und überlegte, wie ich weiter vorgehen sollte. Ich wusste nur, dass ich noch einmal mit Zebra sprechen musste.
    Gerade als ich mich anschickte, die Halle zu verlassen, tauchte, von Haustieren, Servomaten und Kameradrohnen umschwärmt wie eine mittelalterliche Heiligenprozession von ihren Cherubim und Seraphim, eine Horde aufgeputzter Aristokraten aus dem Dunkeln auf. Zwei prunkvolle Bronze-Palankine, nicht größer als Kindersärge, folgten dem Zug, in einigem Abstand dahinter kam ein schlichteres Modell: ein scharfkantiger grauer Kasten mit einem vergitterten Fensterchen an der Vorderseite. Dieser Palankin hatte keine Manipulatoren, schleppte sich mit heulenden Motoren dahin und hinterließ eine Ölspur.
    Ich entwickelte einen rudimentären Plan. Ich würde mich unter die Nachtschwärmer mischen und mich erkundigen, ob einer von ihnen Zebra kannte. Wenn ja, würde ich einen Weg finden, zu ihr zu gelangen, auch wenn ich dazu jemanden aus der Gruppe unter Androhung von Gewalt zwingen müsste, mich in seiner Gondel mitzunehmen.
    Der Zug hielt an, und ein Mann mit einem runden Mondgesicht zog ein Kästchen mit

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