Chasm City
Traumfeuer- Ampullen aus der Tasche. Er achtete darauf, dass unbeteiligte Passanten nicht sahen, was er in den Händen hielt, versuchte aber nicht, das Feuer vor dem Rest der Gruppe zu verbergen.
Ich drückte mich in die Schatten und war froh, dass mich bisher niemand bemerkt hatte.
Die anderen Nachtschwärmer scharten sich um den Mann, Hochzeitswaffen und einfache Injektionsspritzen blitzten auf. Männer wie Frauen klappten sich den Kragen herunter und stießen sich die Stahlkanülen in die Haut. Die beiden kleineren Palankine blieben bei der Gruppe, aber der schlichte graue umkreiste sie, und ich sah, wie sich der eine oder andere nervös nach ihm umdrehte, während er drauf wartete, sich einen Schuss zu setzen.
Der graue Palankin gehörte nicht dazu.
Kaum hatte ich diesen Schluss gezogen, als die Kiste anhielt. Die vordere Wand schwang seufzend und mit qualmenden Angeln auf, und ein Mensch stolperte heraus. Jemand in der Gruppe schrie auf und zeigte auf ihn, und sofort wich der ganze Schwarm zurück; sogar die Miniatur-Palankine suchten das Weite.
Der Mann bot einen grauenvollen Anblick.
Sein nackter Körper war der Länge nach zweigeteilt. Die eine Hälfte war ganz normal; gnadenlos jung und schön wie alle anderen in der Gruppe, der er sich genähert hatte. Aber die andere Hälfte war von metallisch glitzernden Wucherungen durchsetzt und bewegungsunfähig. Zahllose vielfach verzweigte silbergraue Fäden bohrten sich durch das Fleisch, und verschlangen sich zehn, zwanzig, dreißig Zentimeter darüber zu einer wirren, grauen Masse. Bei jedem schlurfenden Schritt lösten sich mit kaum vernehmlichem Klirren winzige Teilchen ab und fielen wie Samenkörner zu Boden.
Der Mann wollte sprechen, doch aus seinem schiefen Mund kam nur ein entsetzliches Wimmern.
»Verbrennt ihn!«, rief jemand aus der Gruppe. »Um Gottes willen, verbrennt ihn doch!«
»Die Seuchenbrigade ist bereits unterwegs«, sagte eine andere Stimme.
Der Mann mit dem Mondgesicht trat etwas näher an das Seuchenopfer heran und schwenkte eine fast leere Ampulle.
»Ist es das, was du willst?«
Der Kranke stammelte etwas und stolperte noch näher heran. Er hatte es wohl gewagt, seine Implantate zu behalten, ohne sich wirksam vor der Seuche zu schützen, dachte ich. Vielleicht hatte er einen billigen Palankin gewählt, der nicht so hermetisch dicht war wie ein teureres Modell. Vielleicht hatte er sich auch erst in das Gefährt zurückgezogen, nachdem er sich bereits angesteckt hatte, in der Hoffnung, die Seuche würde sich langsamer ausbreiten, wenn er keinen neuen Sporen mehr ausgesetzt wäre.
»Hier. Nimm das und lass uns in Frieden. Mach schnell. Die Seuchenbrigade wird bald hier sein.«
Der Mann mit dem Mondgesicht warf dem Kranken die – Ampulle zu; der machte einen Satz und wollte sie auffangen, aber es gelang ihm nicht. Die Ampulle fiel zu Boden und zerbrach, das restliche Feuer lief aus.
Dennoch ließ sich der Kranke vornüber fallen und schlug so auf, dass er die kleine scharlachrote Pfütze fast mit dem Gesicht berührte. Beim Sturz wirbelte er eine graue Wolke von Bruchstücken auf. Ein Wimmern drang aus seinem Mund, aber ich konnte nicht erkennen, ob es Lust oder Schmerz ausdrückte, und dann scharrte er sich mit der heilen Hand ein paar Tropfen Feuer in den Mund. Die Gruppe beobachtete die Szene wie gebannt. Man hielt Abstand, aber die Kameras zeichneten alles auf. Inzwischen hatte das Spektakel weitere Schaulustige angelockt, und alle betrachteten den Mann, als wären seine Zuckungen, sein Gewimmer nur eine besonders bizarre Performance.
»Ein ausnehmend schwerer Fall«, bemerkte jemand. »Ein solches Maß an Asymmetrie habe ich noch nie erlebt. Ob wir wohl genügend Abstand halten?«
»Das werden wir früher oder später schon merken.«
Der Mann wälzte sich immer noch auf dem Boden, als durch die Halle die Seuchenbrigade anrückte. Sie konnte nicht von sehr weit her gekommen sein. Ein Kommandotrupp von Technikern in Schutzkleidung schob eine plumpe Maschine vor sich her, die aussah wie ein übergroßer Palankin. Vorne war sie offen, auf allen Seiten prangten Biohazard-Symbole. Der Kranke wühlte weiter in der Feuer-Pfütze, ohne sich darum zu kümmern, und er hörte auch nicht auf, als das brummende Ungetüm über ihn gefahren und die Vorderseite von oben mit einer Schiebetür verschlossen wurde. Die Techniker arbeiteten rasch und verständigten sich mit präzisen Handzeichen und geflüsterten Kommandos. Das Stampfen und
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