Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chasm City

Chasm City

Titel: Chasm City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
Vom Netzwerk:
keine Lust mehr, jemanden zu belügen, am wenigsten mich selbst.
    »Ich bin hier, um zu beenden, was Cahuella begonnen hat«, sagte ich. »So einfach ist das.«
 
    Zum anderen Ende von Refugium hin schlängelte sich der Rauchglastunnel wieder nach oben und bohrte sich schließlich in die schwarze Wand eines der großen, luftdichten Kästen. Am Ende dieses Tunnelabschnitts befand sich wieder eine Irisblende, die noch geschlossen war. Nur war sie diesmal glänzend schwarz, sodass man nicht sehen konnte, was dahinter war.
    Ich ging darauf zu, legte die Wange an das harte Metall und lauschte.
    Dann rief ich: »Reivich? Machen Sie auf! Wir sind hier!«
    Die Blende öffnete sich langsamer als die anderen, die wir bereits passiert hatten.
    Kühles fahlgrünes Licht strömte durch die Spalten und fiel auf uns. Die Tatsache, dass ich keine Waffe hatte – dass keiner von uns bewaffnet war –, traf mich plötzlich wie ein Schlag. In einer Sekunde konnte ich tot sein – wahrscheinlich ohne zu wissen, wie mir geschah. Ich hatte mich in die Höhle eines Mannes begeben, der alles von mir zu befürchten hatte, während es im ganzen Universum keinen einzigen Grund für ihn gab, mir zu vertrauen. Wer machte sich hier mehr zum Narren, Reivich oder ich? Ich hatte keine Ahnung. Ich wusste nur, dass ich dieses Refugium so schnell wie irgend möglich wieder verlassen wollte.
    Die Tür öffnete sich vollends. Ein Vorzimmer mit Bronzewänden und leuchtend grünen Deckenlampen wurde sichtbar. Goldene Reliefsymbole huschten über die Wände, Wiederholungen der mathematischen Sätze, die ich schon einmal gesehen hatte, als ich mit Reivich sprach; Beschwörungen, die ein Bewusstsein in Nullen und Einsen auflösen konnten; in reine Zahlen.
    Kein Zweifel, er war hier.
    Die Blende hinter uns schloss sich wieder, und vor uns öffnete sich eine zweite. Wir betraten einen sehr viel größeren Raum, der an das Innere einer Kathedrale erinnerte. Hier war alles in goldenes Licht getaucht, doch die andere Seite war so weit entfernt, dass sie sich im Schatten verlor. Die leichte Wölbung des Fußbodens wurde durch den Belag, im Zickzack verlegte Gold- und Silberplatten, zusätzlich betont.
    Weihrauchduft hing in der Luft.
    Weit weg vom Eingang saß mit dem Rücken zu uns in einem hochlehnigen, reich verzierten und vergoldeten Sessel ein Mann. Von weit oben fiel durch ein Buntglasfenster ein breiter Lichtstreifen genau auf ihn. In wenigen Metern Abstand warteten drei zierliche, zweibeinige Servomaten auf ihre Instruktionen. Der Kopf des Mannes lag fast im Schatten, doch als ich seine Form studierte, wusste ich, dass ich Reivich vor mir hatte.
    Ich hatte schon einmal geglaubt, ihn zu sehen, damals in Chasm City, auf der anderen Seite des unsterblichen Fischs. Damals hatte ich blitzschnell reagiert, hatte meine Pistole aus der Tasche gezogen und war um das Becken herumgelaufen, um ihn zu stellen und zu töten. Wäre Voronoff nicht noch eine Sekunde schneller gewesen, ich hätte es sicher getan.
    Jetzt hatte ich es nicht mehr so eilig, ihn ins Jenseits zu befördern.
    Eine Stimme so rau wie Sandpapier ließ sich vernehmen. »Dreht mich bitte um, damit ich meine Gäste ansehen kann.« Ein gequältes Flüstern, stockend und immer wieder von keuchenden Atemzügen unterbrochen.
    Einer der Servomaten trat mit maschinentypischer Lautlosigkeit vor und drehte den Sessel um.
    Der Anblick traf uns völlig unerwartet.
    Das war nicht möglich …
    Reivich sah aus wie ein Leichnam; ein Kadaver, der nur von Stromstößen animiert wurde wie eine Marionette. Er sah nicht aus wie ein lebender Mensch, er sah überhaupt nicht aus wie ein Wesen, das von Rechts wegen sprechen oder den Mund zu einem Lächeln verziehen durfte.
    Er erinnerte mich an eine weniger gesunde Ausgabe von Marco Ferris. Wir konnten nur seinen Kopf und seine Fingerspitzen sehen. Der Rest war unter einer dicken Steppdecke verborgen, unter der sich viele Leitungen zu einem kompakten Lebenserhaltungsgerät schlängelten, das an einer Armlehne befestigt war, einer kleineren Ausgabe des Aggregats, mit dem ich Gittas Körper auf dem Rückweg zum Reptilienhaus ›am Leben‹ erhalten hatte. Der Kopf war fleischlos wie ein Totenschädel; wo er keine violetten Blutergüsse hatte, war die Haut schwarz verfärbt. Die Augäpfel hatte man entfernt; aus den dunklen Höhlen unter den Lidern führten dünne Kabel zu demselben Lebenserhaltungssystem. Nur ein paar Haarsträhnen zierten seinen Hinterkopf wie die wenigen

Weitere Kostenlose Bücher