Chasm City
akzeptieren?«
Der Mann schien verwirrt. »Natürlich… wenn er sich für den Herrn verbürgt… und das persönlich…«
Mir war nicht entgangen, dass er nicht gefragt hatte, wer Argent Reivich war.
Quirrenbach schnippte mit den Fingern. »Warten Sie hier; ich werde das mit ihm regeln. Es dürfte nicht mehr als eine halbe Stunde dauern.«
»Sie wollen Reivich bitten, mir die Einreise zu ermöglichen?«
»Ja« sagte Quirrenbach mit todernstem Gesicht. »Komisch, nicht wahr?«
Ich brauchte nicht lange zu warten.
Reivich erschien auf einem Bildschirm in der Sicherheitszone, wo die Beamten von Refugium all jene festhielten, über deren Einreise noch nicht entschieden war. Der Schock war nicht allzu groß, schließlich hatte ich Voronoff gegenüber gestanden, der ihm wie aus dem Gesicht geschnitten war. Dennoch war der echte Reivich in gewisser Weise einmalig; er hatte eine gewisse Aura, die Voronoff nicht hatte kopieren können. Ich konnte nicht einmal genau festmachen, was es war. Vermutlich nur der Unterschied zwischen einem Menschen, der – wenn auch mit noch so großem Eifer – ein Spiel spielte, und einem anderen, für den das Spiel tödlicher Ernst war.
»Welch erstaunliche Wendung«, bemerkte Reivich. Er sah blass, aber nicht ungesund aus. So weit man erkennen konnte, trug er eine hochgeschlossene weiße Jacke ohne Kragen. Die Wand hinter ihm war mit ineinander verschlungenen, algebraischen Zeichen geschmückt, die einen Teil der mathematischen Theorie der Transmigration symbolisierten. »Sie bitten mich, Sie einreisen zu lassen, und ich gebe Ihnen die Erlaubnis.«
»Sie haben auch Tanner einreisen lassen«, sagte ich. »Halten Sie das für klug?«
»Nein, aber es wird sicher interessant. Vorausgesetzt, Ihre Behauptung stimmt, er ist wirklich Tanner, und Sie sind der, für den Sie sich ausgeben.«
»Einer von uns könnte entschlossen sein, Sie zu töten. Vielleicht auch alle beide.«
»Sind Sie es?«
Eine bewundernswerte Frage; sie traf genau auf den Punkt. Aus Respekt vor ihm gab ich mir den Anschein, erst nachdenken zu müssen, bevor ich antwortete. »Nein, Argent. Das war einmal, aber damals wusste ich noch nicht, wer ich bin. Die Prioritäten ändern sich ziemlich drastisch, wenn man dahinterkommt, dass man nicht der ist, für den man sich hält.«
»Wenn Sie Cahuella sind, haben meine Männer ihre Frau getötet.« Seine Stimme klang so hoch und schwach wie die eines Kindes. »Ich hätte angenommen, Sie könnten es kaum erwarten, sich dafür zu rächen.«
»Tanner hat Cahuellas Frau getötet«, sagte ich. »Dass er sie eigentlich retten wollte, kann daran nicht wirklich etwas ändern.«
»Sind Sie unter dieser Voraussetzung Cahuella, oder sind Sie es nicht?«
»Vielleicht war ich es einmal. Jetzt existiert Cahuella nicht mehr.« Ich sah fest auf den Bildschirm. »Und wenn ich ehrlich bin, dann glaube ich nicht, dass irgendjemand ihm eine Träne nachweint.«
Reivich kräuselte verächtlich die Lippen. »Mit Cahuellas Waffen wurde meine Familie abgeschlachtet«, sagte er. »Mit den Waffen, die er verkaufte, wurden Menschen getötet, die ich liebte. Es wäre mir ein Vergnügen gewesen, ihn dafür zu foltern.«
»Hätten Sie Gitta getötet, dann hätte ihn das mehr gequält als alle Messer und Elektroden.«
»Tatsächlich? Hat er sie wirklich so sehr geliebt?«
Ich durchforstete meine Erinnerungen, in der Hoffnung, ihm die Frage beantworten zu können. Doch letztlich konnte ich nur sagen: »Ich weiß es nicht. Der Mann war zu vielem fähig. Ich weiß nur, dass Tanner sie mindestens genauso sehr liebte wie Cahuella.«
»Aber Gitta musste sterben. Wie hat sich das auf Cahuella ausgewirkt?«
»Es hat ihn mit Hass erfüllt«, sagte ich und dachte an den weißen Raum, der immer noch in meinem Bewusstsein lauerte wie ein Albtraum, an den man sich nach dem Erwachen nur unvollkommen erinnert. »Und diesen Hass hat er an Tanner abreagiert.«
»Aber Tanner hat überlebt?«
»Ein Teil von ihm schon«, sagte ich. »Aber ein Teil, den wir nicht unbedingt als menschlich bezeichnen würden.«
Reivich schwieg eine volle Minute lang. Das schwierige Gespräch belastete ihn sichtlich. Endlich sagte er: »Gitta. Sie war wohl die einzig Unschuldige in der ganzen Geschichte? Die einzige, die ihr Schicksal nicht verdient hatte.«
Dem konnte ich nicht widersprechen.
Das Innere von Refugium lag in ständigem Dunkel wie eine Stadt bei Stromausfall. Doch anders als in Chasm City war die Dunkelheit hier
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