Chasm City
Mutter bei derselben Katastrophe ums Leben gekommen war. Lucretia galt durchweg als gute und in der ganzen Flottille beliebte Frau. Sky’s Vater Titus wurde geachtet und gefürchtet, aber nie wirklich gehasst. Er hatte den Beinamen Caudillo, der starke Mann. Alle Welt war sich einig, dass Sky zwar eine ungewöhnliche Erziehung genossen haben mochte, was aber nicht hieß, dass man seine Eltern für seine späteren Verbrechen verantwortlich machen konnte.
Alle Welt wusste weiterhin, dass Sky nicht viele Freunde gehabt hatte, doch die Namen Norquinco und Gomez waren überliefert worden, und man wusste auch, dass er sie später zu seinen Komplizen – wenn auch nicht zu gleichberechtigten Partnern – gemacht hatte. Allgemein bekannt war auch, dass Titus von einem Saboteur, den man unter die Passagiere geschmuggelt hatte, schwer verletzt worden war. Er war wenige Monate später gestorben, als sich der Saboteur im Schiffslazarett von seinen Fesseln befreite und den nebenan untergebrachten Titus ermordete.
Ein Teil war mir freilich ein Rätsel. Er enthielt Elemente, die mir unbekannt waren. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals Gerüchte über ein anderes Schiff gehört zu haben, ein unheimliches Gespensterschiff, das die Flottille verfolgte wie die legendäre Caleuche. Selbst der Name Caleuche war mir fremd. Wie sollte ich das verstehen? Hatte das Indoktrinationsvirus so viele Details über Skys Leben gespeichert, die nun meine eigene Unwissenheit aufdeckten, oder hatte ich mir einen bisher nicht dokumentierten Stamm eingefangen, in den man verschiedene Arabesken eingearbeitet hatte, die in den meisten anderen Viren fehlten? Und waren diese Ausschmückungen historisch korrekt (und einfach nicht allgemein bekannt) oder reine Fiktion: von gelangweilten Haussmann-Kultisten eingefügt, um der eigenen Religion etwas mehr Würze zu geben?
Ich konnte es – noch – nicht entscheiden. Aber ich musste mich offenbar wohl oder übel damit abfinden, dass mir im Schlaf noch weitere Episoden von Haussmanns Leben präsentiert wurden. Und obwohl mir die Träume selbst – oder die Art, wie sie alles unterdrückten, was ich vielleicht selbst träumen wollte – nicht unbedingt willkommen waren, konnte ich zumindest nicht leugnen, dass ich gern wissen wollte, wie die Sache weiterging.
Ich schlug mir Sky Haussmann aus dem Sinn und beschäftigte mich im Weiterkriechen lieber mit dem Ziel, das die Strelnikov letztlich ansteuerte.
Das Glitzerband.
Davon hatte ich sogar auf Sky’s Edge schon gehört. Wer hätte das nicht? Es gab nur ein paar Dutzend Orte, die so berühmt waren, dass ihr Ruf auch in andere Sonnensysteme drang; Orte, die selbst über Lichtjahre hinweg eine gewisse Anziehungskraft ausübten. Auf vielen besiedelten Welten galt das Glitzerband als der Inbegriff von grenzenlosem Reichtum, einem Leben im Überfluss und persönlicher Freiheit. Es stand Chasm City in nichts nach, nur der allgegenwärtige Druck der Schwerkraft fehlte. Viele redeten im Scherz davon, dorthin auszuwandern, wenn sie ihr Glück gemacht oder in die Familie mit den richtigen Beziehungen eingeheiratet hätten. Wir hatten in unserem System kein Ziel, das ähnlich viel Glamour verbreitet hätte. Und viele Menschen hatten so wenig Aussicht, jemals dorthin zu gelangen, als wäre das Glitzerband ein mythischer Ort.
Aber es war durchaus real.
Es war nichts anderes als eine Kette von zehntausend eleganten, ja pompösen Habitats, die Yellowstone umkreisten: ein herrliches Arrangement von Arkologien, Karussells und Zylinderstädten, das wie ein Kranz aus Sternenstaub um die Welt lag. Chasm City mochte der Hort sein, aus dem letztlich der Reichtum des ganzen Systems stammte, aber die Stadt hatte sich in ihrer dreihundertjährigen Geschichte und mit ihrer ungeheuren Selbstgefälligkeit den Ruf erworben, im Konservatismus erstarrt zu sein. Das Glitzerband wurde dagegen ständig neu erfunden, Habitats lösten sich aus der Formation und fügten sich an anderer Stelle wieder ein, wurden demontiert und wieder aufgebaut. Ein Meer von Subkulturen gelangte zu einer kurzen Blüte und verschwand wieder, wenn ihre Vorreiter beschlossen, stattdessen etwas anderes auszuprobieren. Wo die Kunst in Chasm City eher zur Behäbigkeit tendierte, wurde im Glitzerband fast alles gefördert. So existierten etwa die Werke eines Künstlers nur für den winzigen Moment, in dem sie aus Quark-Gluon-Plasma geformt und stabilisiert werden konnten, ja, ihre Existenz ließ sich nur durch
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