Chasm City
ebenso empfindlich und kompliziert wie die Antimaterie-Triebwerke; wenn sich unkundige Hände daran zu schaffen machten, konnte es auch hier sehr leicht zu einer Katastrophe kommen. Wie einst die toten Pharaonen, so hatten auch die Schläfer damit gerechnet, in ihrer Ruhe nicht gestört zu werden, bis sie das Jenseits – oder in diesem Fall das System von 61 Cygni-A – erreichten. So hatte man das Gefühl, hier eigentlich nicht hinzugehören.
Aber das war nicht halb so schlimm wie der Anblick, den Skys Vater bot.
Titus Haussmann lag auf dem Boden, einer der Sicherheitsleute hielt seinen Oberkörper in den Armen. Auf seiner Brust verbreitete sich eine dunkle, klebrige Substanz, die Sky als Blut erkannte. Seine Uniform hatte tiefe Risse, in denen sich das Blut sammelte. Bei jedem seiner mühsamen Atemzüge war ein entsetzliches Gurgeln zu hören.
»Dad…«, sagte Sky.
»Schon gut«, antwortete einer der Soldaten. »Die Sanitäter sind schon unterwegs.«
Und das, dachte Sky, war bei der Qualität der medizinischen Versorgung auf der Santiago kaum beruhigender, als wenn man ihm einen Priester angekündigt hätte. Oder einen Bestattungsunternehmer.
Er wandte sich dem Kälteschlaftank zu, dem langen, katafalkähnlichen, von Maschinen strotzenden Kryo-Sarg, der den größten Teil des Raumes einnahm. Der Deckel stand weit offen und zeigte große, gezackte Sprünge wie eine zerbrochene Glasscheibe. Auf dem Fußboden bildeten spitze Glasscherben ein abstraktes Glasmosaik. Es sah ganz danach aus, als hätte sich jemand mit Gewalt aus seinem Sarg befreit.
Doch der Sarg war nicht leer.
Der Schläfer war tot oder dem Tode nahe; das war nicht zu übersehen. Auf den ersten Blick war bis auf die Schusswunden nichts Ungewöhnliches festzustellen: ein nackter Mensch, gespickt mit Überwachungssensoren, Infusionsnadeln und Kathetern. Er war jünger als die meisten, dachte Sky – mit anderen Worten, bestes Fanatikerfutter. Aber mit seinem kahlen Schädel und dem maskenhaft starren Gesicht hätte er als ganz normaler Schläfer wie tausend andere durchgehen können.
Nur hatte er seinen Unterarm verloren.
Er lag auf dem Boden – ein schlaffer Handschuh, mit einem Saum aus fransigen Hautlappen. Doch darunter waren weder Fleisch noch Knochen zu sehen, und es war auch nur sehr wenig Blut ausgetreten. Auch der Armstumpf war nicht so, wie er sein sollte. Haut und Knochen hörten wenige Zentimeter unterhalb des Ellbogens auf, der Rest war eine dünne Metallprothese: ein komplexes, grausiges, mit Blut verschmiertes Glitzerding, das nicht in stählernen Fingern, sondern in einem Sortiment von tödlichen Klingen endete.
Sky malte sich aus, wie es sich zugetragen haben musste.
Der Mann war – vermutlich einem Plan folgend, der ausgeheckt worden war, bevor die Flottille den Merkur-Orbit verließ – in seinem Tank erwacht. Eigentlich sollte er wohl unbeobachtet zu sich kommen, den Tank zerschmettern, sich auf das eigentliche Schiff schleichen und dort heimlich eine Katastrophe auslösen, genau so, wie es Constanzas Theorie nach auf der Islamabad geschehen sein könnte. Ein einzelner Mann konnte eine Menge Unheil anrichten, wenn er nicht darauf erpicht war, selbst mit dem Leben davonzukommen.
Aber die Reanimation war nicht unbemerkt geblieben. Der Prozess war noch nicht abgeschlossen gewesen, als der Sicherheitstrupp die Koje betrat. Vielleicht hatte sich Skys Vater über den Tank gebeugt, um ihn zu untersuchen, als der Mann mit seiner Unterarmwaffe den Deckel aufgebrochen hatte. In diesem Moment hätte er Titus ohne weiteres erstechen können, während sie aus vollen Rohren auf ihn feuerten. Vollgepumpt mit schmerzstillenden Reanimationsmedikamenten, hatte er die Schüsse wahrscheinlich kaum gespürt.
Sie hatten ihn aufgehalten, vielleicht sogar getötet, aber zuvor hatte er Titus aufs Schwerste verletzt. Sky kniete neben seinem Vater nieder. Titus hatte die Augen noch geöffnet, schien aber nicht mehr richtig sehen zu können.
»Dad? Ich bin’s, Sky. Du musst durchhalten, ja? Die Sanitäter sind schon unterwegs. Es wird alles wieder gut.«
Einer der Soldaten legte ihm die Hand auf die Schulter. »Er ist stark, Sky. Er musste als Erster hineingehen. Das war so seine Art.«
»Sie meinen wohl, es ist seine Art.«
»Natürlich. Er wird es schon schaffen.«
Sky wollte etwas sagen, die Worte bildeten sich bereits in seinem Kopf, doch in diesem Augenblick regte sich der blinde Passagier; zuerst mit traumhafter Langsamkeit, dann
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