Chasm City
findest niemanden, Meera-Bell.«
»Hier vielleicht nicht«, sagte ich und fasste mit der freien Hand nach seinem wattierten Mantel. Die rauen Flecken fühlten sich so kühl und trocken an wie die Haut einer Schlange. »Aber was ist mit all den anderen Passagieren auf dem Shuttleboot? Ich könnte mir denken, dass du von ihnen schon einige geschröpft hast, seit wir Idlewild verlassen haben.«
»Und wenn schon?«, flüsterte er. »Was geht es dich an?« Sein Tonfall wechselte ständig. Jetzt kroch er wie ein Wurm vor mir, ein widerlicher Schleimer, ganz anders als vorhin, als er den Raum betreten hatte. »Was willst du dafür, dass du dich heraushältst? Was kostet es, wenn du dich zurückziehst und mich in Ruhe lässt?«
Ich musste lachen. »Du willst mich tatsächlich kaufen?«
»Einen Versuch ist es immer wert.«
Das brachte das Fass zum Überlaufen. Ich zerrte Vadim zurück und stieß ihn abermals so fest gegen die Wand, dass ihm die Luft weg blieb. Dann schlug ich auf ihn ein. Blinder Zorn überspülte mich wie eine warme Welle. Ich spürte unter meinen Fäusten die ersten Rippen brechen. Vadim wollte sich wehren, aber ich war schneller und stärker, und ich war rechtschaffen empört.
»Halt!«, rief eine Stimme, die schon fast nicht mehr von dieser Welt war. »Hören sie auf; er hat genug!«
Quirrenbach zog mich weg. Zwei andere Passagiere waren herübergeschwebt, um sich das Schauspiel aus der Nähe anzusehen, und betrachteten nun den übel zugerichteten Vadim mit wohligem Entsetzen. Sein Gesicht spielte in allen Regenbogenfarben, sein Mund weinte tiefrote Tränen. So ähnlich musste ich ausgesehen haben, als die Eisbettler mit mir fertig waren.
»Wollen Sie wirklich, dass ich ihn schone?«, fragte ich.
»Davon kann längst nicht mehr die Rede sein«, sagte Quirrenbach. »Aber ich finde auch nicht, dass Sie ihn töten müssen. Angenommen, er sagt die Wahrheit und hat tatsächlich Freunde?«
»Er ist ein Nichts«, beruhigte ich ihn. »Er hat nicht mehr Einfluss als Sie oder ich. Und selbst wenn… Wir sind auf dem Weg zum Glitzerband 9 und das ist keine Grenzsiedlung ohne Recht und Ordnung.«
Quirrenbach sah mich merkwürdig an. »Sie meinen das wirklich ernst? Sie glauben wirklich, wir wären auf dem Weg zum Glitzerband!«
»Sind wir das nicht?«
»Das Glitzerband gibt es nicht«, sagte Quirrenbach. »Es existiert seit Jahren nicht mehr. Was uns erwartet, ist etwas völlig anderes.«
Aus Vadims zerschlagenem Gesicht kam gänzlich unerwartet ein Glucksen. Vielleicht war es nur das Blut in seinem Mund. Vielleicht aber auch ein hämisches Lachen.
Zwölf
»Was haben Sie damit gemeint?«
»Womit, Tanner?«
»Mit dieser ganz nebenbei hingeworfenen Bemerkung, das Glitzerband existiere nicht mehr. Haben Sie vor, das einfach ohne Erklärung stehen zu lassen?«
Quirrenbach und ich krochen durch den Bauch der Strelnikov zu Vadims Versteck. Ich hatte meine Reisetasche bei mir und kam nur mühsam voran. Wir waren allein; Vadim hatte ich in meiner Kabine eingeschlossen, sobald er uns verraten hatte, wo seine Koje stand. Ich ging davon aus, dass wir nur sein Quartier zu durchsuchen brauchten, um zu finden, was er den anderen Passagieren gestohlen hatte. Seinen Mantel hatte ich bereits an mich genommen, und ich hatte nicht vor, ihn in nächster Zeit zurückzugeben.
»Sagen wir, es hat sich einiges verändert, Tanner.« Quirrenbach krabbelte so unbeholfen hinter mir her wie ein Hund, der sich in einen Fuchsbau zwängt.
»Davon habe ich nichts gehört.«
»Natürlich nicht. Die Veränderungen traten erst vor nicht allzu langer Zeit ein, während Sie noch auf dem Weg hierher waren. Berufsrisiko bei Interstellarreisenden, könnte man sagen.«
»Nicht das Einzige«, erwiderte ich und nickte. Ich dachte an mein lädiertes Gesicht. »Was sind das denn nun für Veränderungen?«
»Ziemlich drastische, fürchte ich.« Er hielt inne. Sein Atem ging in harten, rasselnden Stößen. »Hören sie, es tut mir Leid, Ihre Illusionen so radikal zerstören zu müssen, aber Sie sollten sich möglichst rasch mit dem Gedanken vertraut machen, dass Yellowstone nicht mehr mit der Welt zu vergleichen ist, die es einmal war. Und das, Tanner, ist noch stark untertrieben.«
Ich dachte an Amelia und ihren Hinweis, wo ich Reivich finden könnte. »Chasm City steht aber noch?«
»Ja… gewiss. Das wäre allzu drastisch. Die Stadt ist noch da; sie ist noch bewohnt; und sie ist selbst für hiesige Verhältnisse auch noch einigermaßen
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