Cheffe versenken (German Edition)
glücklich schnappte ich meine Geldbörse.
»Wenn der Wecker direkt neben mir steht, dann könnte es sein, dass ich ihn in Gedanken gleich wieder ausschalte und weiterarbeite. So weit darf es nicht kommen, und darum liegt er hinter dem Bücherstapel. Sobald ich aufgestanden bin, verbiete ich mir den Rückweg an den Schreibtisch. Das nennt man Arbeitseffizienz.«
Ich wünschte mich zu meinen Eltern in die Steppe.
Die kleine Kantine war erstaunlich modern eingerichtet. Ein freundliches Gelb schmückte die Wände. Auf jedem der hellen Esstische stand eine Blumenvase mit frischen farbigen Gerbera. Erst jetzt fiel mir auf, warum die Kantine so einladend und wohnlich wirkte. Sie befand sich in einem Anbau, in dem drei Wände aus großen Fensterflächen bestanden und den Blick auf einen parkähnlichen Garten freigaben.
Es herrschte reges Treiben. Wahrscheinlich freuten sich alle Mitarbeiter, ihren dunklen Bürohöhlen entkommen zu sein.
»Zuerst nimmst du ein Tablett, und dann stellst du dich am Ende der Schlange an«, bemutterte mich Edith.
Was hätte ich denn sonst machen sollen? Über die Theke klettern und dem Koch eine Handvoll Erbsensuppe aus der Kelle schaufeln?
»Ach was!«, sagte ich in einem Anflug von Hungerlaunigkeit und schnappte mir ein graues Tablett.
»Den Wirsingauflauf kann ich sehr empfehlen«, riet mir eine männliche Stimme. Ich drehte mich um und erblickte Henner Claassen. Er lächelte und wünschte einen guten Appetit.
»Der ist aber nett, findest du nicht?«, fragte ich Edith, während wir mit unseren Tabletts langsam vorwärtsschoben.
»Geht so. Henner ist schon ewig hier.«
»Dann werde ich ihn fragen, wenn ich etwas über alte Zeiten wissen muss.«
»Ich kann dir nur den Tipp geben: Halt dich lieber an die Archivunterlagen. Wenn du Henner fragst, erzählt er dir gern alte Kamellen, die hier keinen mehr interessieren. Und außerdem hält er dich von der Arbeit ab.«
Mir erschien der Mann sympathisch, und von der Arbeit abhalten klang für den Anfang durchaus verlockend.
Zum Wirsingauflauf lud ich mir eine Suppe als Vorspeise, eine Schale Salat und ein Quarkdessert auf mein Tablett. An der Kasse entdeckte ich ein Regal mit Süßigkeiten. Wer wusste, wann ich wieder einen Happen essen durfte? Ich beschloss, einen Vorrat für den Nachmittag zu bunkern, und kaufte fünf Schokoriegel. Wenn ich für jeden Riegel in den Pausenraum laufen würde, bekäme ich wenigstens ein paar mickrige Meter Auslauf.
»Du musst ja einen unglaublichen Stoffwechsel haben«, staunte Edith, als sie mein Tablett musterte. Sie suchte uns einen ruhigen Tisch, obwohl ich mich gern zu den anderen Kollegen gesellt hätte. Vielleicht war einer von ihnen der mysteriöse Anrufer. Und wo war der hübsche Engländer?
Edith bestand darauf, mit mir in Ruhe ein paar Dinge zu besprechen.
»Und?«, fragte Edith.
»Wie – und?«, gab ich zurück. Ich hatte einen so großen Hunger, dass ich mich nicht wirklich unterhalten wollte. Außerdem konnten wir das doch alles später im Büro klären.
»Wie gefällt es dir bei uns?«
»Hm.«
»Also gut?«
Ich nickte. Beim sprachlosen Tai Chi gefiel Edith mir besser.
»Ich find’s echt toll, dass wir beide zusammensitzen und ich dir diese Riesenchance geben konnte.«
Edith pickte mit der Gabel eine Olive aus ihrem Salat und legte sie an den Tellerrand. »Zu viele Kalorien, diese Teufelsdinger!«
»Meins schmeckt super«, murmelte ich. Die Suppe brachte erste Lebensgeister zurück.
In diesem Moment entdeckte ich Alan Tivendale und Yvonne Strowe. Zusammen mit zwei weiteren Kollegen kamen sie geradewegs auf uns zu. Als Miss Piggy Edith und mich erblickte, machte sie einen abrupten Schlenker und steuerte einen Nebentisch an. Wie in einer Entenreihe folgten die anderen. Alan hatte mich nicht gesehen. Er war in ein Gespräch vertieft.
»Was gibt’s denn da Interessantes?«, wollte Edith wissen und schaute sich um.
»Ach so, Alan und die Krake.«
Ich schnappte nach Luft. Ein Stückchen Wirsing widersetzte sich den Gesetzen der Schwerkraft und blieb hartnäckig in meiner Speiseröhre stecken. Mein Husten ließ alle Gespräche verstummen, Tränen schossen mir in die Augen. Durch einen plötzlichen Schlag auf den Rücken wurde ich von meinem Übel befreit und spuckte das faserige Gemüse aus. Es blieb in einer gelben Gerbera hängen.
Jens Powalowski hatte mir das Leben gerettet.
»Glück gehabt, was?«, quiekte er und beugte seinen Giraffenkörper zu mir nach vorn.
Scheinbar
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