Cheffe versenken (German Edition)
Gellert. Alan ist außerordentlich nett – zu JEDER Frau!«
Was sollte das nun wieder bedeuten?
»Die jüngeren Kolleginnen sind alle ganz verrückt nach ihm. Auch Yvonne Strowe hat es schon mal geschafft.«
Das hatte ich ganz vergessen.
»Die beiden waren letztes Jahr kurz zusammen. Und da gab es nur zwei Möglichkeiten. Einer von beiden hätte sich einen neuen Job suchen müssen oder Trennung.«
»Und nur wegen der Arbeit haben sie sich getrennt? Dann war die Liebe wohl nicht so groß.«
Meine Güte, warum waren hier alle so kompliziert?
»Ich würde sagen, die Vernunft hat gesiegt. Alan hat die Beziehung beendet. Aber das Flirten kann er trotzdem nicht lassen. Der bringt sich noch mal in gewaltige Schwierigkeiten. Bellersen und Frau Heyster passen da auf wie die Luchse.«
Ups.
»Danke für die Belehrung«, brummte ich und machte mich an die Arbeit.
Ich dachte nicht darüber nach, dass eine Liebe am Arbeitsplatz in diesem Betrieb verboten war, sondern über Alan und Yvonne. War Alan vielleicht kurzzeitig erblindet, oder hatte Yvonne sich mit ihrer herrischen Alphamasse Alans Gutmütigkeit zunutze gemacht? Ich wollte mir jedenfalls nicht vorstellen, dass Alan sich ernsthaft in sie verliebt haben könnte.
Frustriert wagte ich einen neuen Arbeitsanlauf. Dabei blätterte ich lustlos in den verstaubten Ordnern und versuchte, die wichtigsten Eckpunkte der Verlagsgeschichte zu skizzieren.
Mit nur siebenundzwanzig Jahren hatte Benno Bellersen 1960 einen kleinen Verlag für Reiseführer gegründet. Nachdem die mageren Nachkriegsjahre überstanden waren, entwickelte sich der erste Wohlstand. Bellersen erkannte, dass die Menschen anfingen, in ihrer wertvollen Urlaubszeit das Weite zu suchen.
1962 hatte er die Königsidee: Weltenbummler Bellersen , eine Reiseführerreihe für die ersten zahlungskräftigen Kunden mit Fernweh. Die Idee schlug in den Wirtschaftswunderzeiten ein wie ein Meteorit und brachte dem Verlag Erfolg und Reichtum.
Auf den vergilbten Fotos stand ein dicklicher Mann, der, wie viele Männer seiner Zeit, älter aussah, als er war. Sein Sohn Bernold hatte dieses Vermögen erfolgreich bis in die nächste Generation getragen.
Benno Bellersen schien ein Patriarch der alten Schule gewesen zu sein. Kein Foto, auf dem Bellersen nicht stolz und selbstbewusst in die Kamera grinste. So wie es schien, waren alle Ideen auf seinem Mist gewachsen. Bellersen, der erfolgreiche Unternehmer, Bellersen, der Autodidakt unter den Verlegern, der vom Konzept bis zur Gestaltung alles selber machte, sogar die Fotos der Buchreihe. Bellersen erhält das Bundesverdienstkreuz, Bellersen tätschelt einem verschüchterten Auszubildenden väterlich den Rücken. Dieser Mann musste ein Allroundgenie gewesen sein.
»Sag mal, Edith, hast du nicht Benno Bellersen noch kennengelernt?«
Vielleicht konnte sie mir mehr über diesen Mann erzählen.
»Bitte?«, fragte Edith abwesend. Sie war schon wieder in die Lektüretiefsee abgetaucht.
»BEENNO BELLERSEN! Der Alte!«, bohrte ich ungeduldig nach.
»Nicht in diesem Ton«, maßregelte Edith mich. »Nenn Benno nicht den Alten, das klingt verunglimpfend.«
Edith, die sprechende Mimose. Sie hatte einen eigenen Eintrag in einem Pflanzenlexikon verdient.
»Benno war ein ganz besonderer Mensch.«
Edith blinzelte aus dem kleinen Fensterchen. »Er war schlau, geistreich und ein echter Gentleman.«
Hatte sie das nicht schon einmal erwähnt? Sollte ich etwa in die Chronik schreiben: Benno Bellersen war ein toller, altmodischer Hecht? Wie konnte ich geschickt von Ediths Schwärmereien ablenken?
»Er ist ziemlich jung gestorben, nicht wahr?«
»Viel zu früh! Das war ein harter Schlag. Er war doch erst dreiundsechzig.«
»Woran ist er denn genau gestorben? Ich weiß nur, dass es ein Unfall oder so etwas war.«
»Ja, ein ganz besonders tragischer dazu. Es passierte im Urlaub. Benno war ein großer Nordsee-Fan und für ein paar Tage auf Wangerooge. Dort hatte die Familie Bellersen eine Ferienwohnung. Seit dem Tod seiner Frau Inge fuhr er jedes Jahr mehrmals dorthin.«
»Hatte er einen Herzinfarkt, oder ist er vom Fischkutter gefallen?«
Ein bisschen Aufheiterung konnte nicht schaden. Doch Edith war nicht zu Scherzen aufgelegt.
»Er wurde von einem Baugerüst erschlagen. Und das war alles andere als witzig, meine Liebe.«
»Wie konnte denn das passieren?«
»Ich weiß es nicht. Jedenfalls kam Bernold kurz nach dem Unfall in den Verlag und erzählte, dass das Haus, in dem die
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