Cherryblossom - Die Zeitwandler (German Edition)
ungeduldig, man konnte förmlich spüren, wie er kurz vorm Explodieren stand.
»Louisa, ich war an ihrer Entmächtigung beteiligt.« Er sah stumpf in die Ferne. Mir kroch die Tragweite dieser Enthüllung wie Gift ins Gehirn und ich starrte ihn weiter nur abwartend an. Meine Anspannung nahm deutlich zu, ich vibrierte innerlich.
Henry bemerkte es und nahm sich zusammen. »Hanna, ich liebe dich wirklich, mein Schatz. Ich wusste von jeher, was du bist. Eine Gruppe namens Occulus Videns hat mich eine Woche nach dem Unfall mit deiner Mutter aufgesucht.«
»Unfall?«, fiel ich ihm halblaut ins Wort. Fassungslos schüttelte ich meinen Kopf, der sich hohl anfühlte.
»Du weißt Bescheid, nicht wahr?«, murmelte er. Bevor er weiterredete, holte er tief Luft.
»Das Sehende Auge wollte euch töten, euch Kinder, auch deine Mutter und am liebsten auch mich. Es hatte was mit unserem uralten Hexengeschlecht und der Vereinigung mit dem Dämon zu tun. Ich erforsche schon seit Jahren die vorchristliche Schriftstücke und Volksweisheiten, die Natur der Dämonen. Erkenntnisse, was dich so wichtig und anscheinend beängstigend macht, habe ich dennoch nicht gewonnen. Aber vielleicht sollten wir unseren lieben Lennox fragen. Als einer der obersten Angestellten des uralten Rates und deines Vaters sollte er Bescheid wissen.« Sein Blick drückte sich schwer in Lennox’ betretenes Gesicht.
»Der weiß es auch nicht. Er wusste nicht einmal, dass sie eine Hexe ist.« Ben lachte laut und freudlos auf und sah Lennox überheblich an, der seine Hand fest auf den Tisch presste, sodass die Sehnen hervortraten.
»Verstehe. Nun, das ändert einiges. Die Occulus Videns stellten mich vor die Wahl. Sie würden uns alle am Leben lassen, wenn ich ihnen mit Forschungen und zwei Artefakten helfen würde, die sie in ihrem Besitz hatten. Durch mein jahrelanges Studium der Geschichte und Archäologie war ich prädestiniert für ihre Arbeit. Außerdem wollten sie die Kontrolle über Hanna. Sie wollten mich zu ihren Zwecken und Bedingungen gebrauchen und ich konnte es wohl kaum ablehnen.« Traurig sah er auf mich herab.
»Du kennst das Mädchen«, stellte ich erschüttert fest. »Ihr habt sie entmächtigt, die Occulus Videns und du.« Mir fröstelte, ich musste es noch einmal laut aussprechen, als wenn es davon besser werden würde.
»Warum hast du ihnen die Artefakte gestohlen, wolltest du mich auch …?«, mir versagte die Stimme.
Henry schüttelte den Kopf und raufte sich das graue Haar.
»Zuerst war das der Plan. Die Occulus Videns bestanden darauf. Aber als immer wieder Zeitwandler bei dem Prozess starben oder so zugrunde gerichtet wurden wie Louisa, habe ich irgendwann die Chance ergriffen und die Artefakte an mich genommen. Ich wollte dich holen, aber es war bereits zu spät. Ich kam nicht mehr an dich heran. Sie lauerten überall auf mich. Die Occulus Videns hetzten sogar einige Zeitwandler auf mich. Üble Gestalten. Ich war auf der Flucht, unwiederbringlich, und konnte nicht zurück.« In Lennox’ Miene lag zu gleichen Teilen Erstaunen und Misstrauen. »Sie haben Zeitwandler auf dich angesetzt? Wie soll das denn gehen?«
»Sie haben einige Verbündete in euren Reihen, mein unwissender Freund. Wo habt ihr Louisa gefunden?« Diese Frage klirrte wie Eis. In Lennox’ Augen schlich sich eine Erkenntnis, die ihn tief erschütterte. »Das ist Hochverrat«, raunte er entgeistert.
»Wenn ich das richtig verstehe, haben die Occulus Videns Verbündete, die sich nicht scheuen, andere Zeitwandler dem Tod oder Schlimmerem auszuliefern und die sich anschließend an der noch bleibenden Energie dieser Opfer bereichern?« Bens Miene war eine versteinerte Maske, sein Mund zu einem Strich verzogen.
»So ungefähr ist es. Die Energie der Entmächtigten ist trotz allem wesentlich stärker als die von gewöhnlichen Menschen. Sie erneuert sich schnell und ist durchzogen von der alten Magie des Dämons. Das ist aber nicht der Punkt. Viel wichtiger ist doch, warum sie die Occulus Videns unterstützen. Und warum sich auch einige Hexenmeister gegen den Rat wenden werden. Diese Dämonen – meist ziemlich bösartiger Natur – erhoffen sich einen Machtwechsel. Die Hexer befürchten ein Ungleichgewicht der Macht im Rat zwischen den Hexern und den Zeitwandlern und sehen auf das Ganze mit Argwohn. Irgendetwas ist im Rat geschehen, das solche Unruhe bringt. Aber auch ich weiß nicht, was es ist.« Henry machte eine Pause und kniff sich in die Nasenwurzel.
»Also könnte
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