Cherryblossom - Die Zeitwandler (German Edition)
sein. Aber ich habe mal gehört, dass alle wirklich Gestörten so von sich dachten. Betäubt lag ich auf meinem Bett. In meinem Kopf herrschte eine gähnende Leere , a ber der Schlaf wollte sich einfach nicht einstellen. Ich versuchte, mich schwerer zu machen und betete, dass der Schlaf mich endlich, endlich mit in seine vertraute Tiefe riss.
Ich war wieder zwölf. Ich saß auf meiner Tinkerstute Piper und flog über die englischen Stoppelfelder. Der Wind riss an meinen Haaren und sie flatterten wie ein Umhang hinter mir her. Frei und unbekümmert genoss ich jeden Atemzug, den ich tat. Ein Jauchzen kam über meine Lippen, als Piper über einen kleinen Graben sprang. Sie wurde noch eine Spur schneller, als wir den Feldweg nach Hause erreichten, wie immer, wenn es nach Hause ging. Ich ließ die Zügel los, streckte die Arme wie Flügel von mir und schloss die Augen. Als ich sie wieder öffnete, flog ich mindestens zehn Meter über dem Boden. Ich hatte keine Angst, ich wollte höher hinaus, wie ein Vogel. Die Sonne schien greifbar nah und blendete mich, ließ glitzernde bunte Sterne vor meinen Augen leuchten. Unter mir entdeckte ich eine blühende Wiese mit blauen Blumen, dort wollte ich landen. Ich ging in einen Sturzflug, es war berauschend. Ich rollte weich in der Wiese aus und blieb auf dem Rücken liegen. Ich lachte und fühlte mich unglaublich stark. Friedlich pflückte ich einige der wunderschönen unwirklichen Blumen und band mir einen Haarkranz aus ihnen. Mit ein paar der blauen Blumen im Arm und dem Kranz wippend in meinem Haar, lief ich über die Wiese an einer Baumgruppe vorbei in Richtung unseres Hauses. Ich wollte Henry die Blumen zeigen und hüpfte vorwärts . Ich erhaschte eine Bewegung bei der Baumgruppe und blieb stehen. Als ich i hn sah, wie er lächelnd hinter einem Baum verschwand, verlor ich die Blumen aus meiner Hand .
Ich wachte auf. Mein Unterleib schmerzte. Meine Regel kündigte sich an. So konnte ich nicht weiterschlafen. Neben mir schnarchte Sophie leise vor sich hin. Der Wecker zeigte drei Uhr nachts an. Also wankte ich aus dem Bett, darauf bedacht, meinen schmerzenden Unterleib zu schonen. Ich würde zur Nachtschwester gehen und um ein Schmerzmittel bitten. Der Flur war schwach beleuchtet, am oberen Ende sah ich Dick und Doof an einem Tisch Karten spielen. Die beiden hatten also heute Nachtdienst. Meistens hatten sie Dienst im Trakt der Jungen, die strickt von uns getrennt wurden, aber heute Nacht waren sie allem Anschein nach einmal mehr bei uns eingesetzt worden. Innerlich die Augen rollend ging ich von der Mitte des Ganges in Richtung Küche. Meine nackten Füße platschten über den kalten Linoleumboden, die Kälte kroch meine Beine empor und ließ meinen Unterleib sich erneut schmerzhaft zusammenziehen.
Die Nachtschwester hatte ich schon kennengelernt. Sie war ein mütterlicher Typ. Korpulent, mit sanften Augen und Grübchen, wenn sie lächelte. Mit einem Zwinkern drückte sie mir einen Becher mit Wasser in die Hand und bat mich, im Flur zu warten. Sie drehte sich um und verschwand tippelnd in die Küche, um eine Schmerztablette für mich zu holen, als mein Blick auf das untere Ende des Ganges fiel. Mein Magen sackte eine Etage tiefer. Der Becher mit dem Wasser glitt mir aus der Hand . Ich nahm wie in Zeitlupe wahr, wie der Becher polternd auf dem Boden aufkam und das Wasser sich über meine nackten Füße ergoss. Ich bemerkte gar nicht, wie ich mir vor Anspannung auf die Lippe biss und Blut aus der Wunde hervorquoll.
»Was ist los, Kind, wie ist das denn passiert?«, fragte die Nachtschwester beunruhigt.
Meine Augen weiteten sich, ich konnte den Blick nicht abwenden. Er stand am Ende des Ganges und nahm langsam seinen Zeigefinger an die Lippen. Eindringlich und ernst sah er mich an.
»Da ist er, der Zeuge, den die Polizei sucht! Sie müssen ihn sofort festhalten!«, wisperte ich der Nachtschwester eindringlich zu. Ich trat einen Schritt vor und wäre dabei fast über den leeren Becher gestolpert. Ich spürte es kaum.
»Tun Sie was, sofort ! Er ist meine einzige Hoffnung!«, kreischte ich jetzt außer mir und wandte mich schließlich doch der stummen Frau neben mir zu. Sie sah erst mich unglücklich an, dann folgte sie meinem Blick und schüttelte mit dem Kopf. »Da ist niemand, Kind.« Verbissen packte ich sie am Arm und wollte sie mitschleifen. »Wir müssen verhindern, dass er verschwindet!«, schrie ich sie aufgebracht an.
Jetzt wurde sie laut. »Beruhige dich
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