Cherubim
Wissen selbst angeeignet.«
»Aber ich kann doch nicht sicher sein«, widersprach Katharina.
Richard hob fragend die Augenbrauen, und sie erklärte: »Nun,selbst wenn ich von meiner Mutter erfahren habe, dass Katzen Mäuse auf die Türschwelle legen, oder wenn ich es in einer Nacht selbst beobachtet habe, kann ich trotzdem nicht sicher sein, dass die Maus in der anderen Nacht nicht von Nachbars Hund gebracht worden ist. Es gibt keine Sicherheit dabei.«
Richard blies sich gegen die Stirn. »Du könntest dir die Bissspuren an der Maus ansehen. Wenn sie klein sind, spricht das für die Katze, nicht für den Hund.«
Katharina begriff, was er ihr eigentlich sagen wollte. »Es geht darum, Zeichen zu lesen.« Sie legte sich beide Hände an die erhitzten Wangen.
»Ja, und in der Summe ergeben die Zeichen ein Bild.« Richard legte die Hand auf den Schädel. »Genau das tun wir hier auch. Anhand der Tatsache, dass Heinrich in der Ruine gefunden wurde und seine Augen ausgestochen wurden, wissen wir, dass jemand ihn ermordet hat. Wir wissen ferner, dass es an seinem Körper keinerlei weitere Wunden gibt. Und dieser Schädel hier zeigt uns, was passiert sein könnte ... Katharina, was hast du denn?«
Richards erschrockener Ausruf erst machte ihr bewusst, dass sie angefangen hatte zu weinen. Unbemerkt waren ihr die Tränen in die Augen getreten, waren übergelaufen und rannen ihr jetzt in einem steten Strom über die Wangen. Völlig lautlos weinte sie, doch mit einer Intensität, die ihren Körper krümmte. Sie wollte nicht, dass Richard sie so sah, wischte sich über das Gesicht, wieder und wieder, aber es nützte nichts. Die Tränen liefen und liefen, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte.
»Komm her!« Richard trat zu ihr und zog sie in die Arme.
Katharina schmiegte sich an ihn. Ein Schluchzen schüttelte sie mit solcher Gewalt, dass sie spüren konnte, wie Richards Armmuskeln sich spannten, um sie festzuhalten. »Ich mache dein Hemd ganz nass«, murmelte sie gegen seine Brust.
»Pst!«, flüsterte er in ihre Haare. Ihre Haube war ihr in den Nacken gerutscht, von wo aus sie drohte zu Boden zu gleiten. Richard nahm sie ab und warf sie auf einen Stuhl. »Das alles hier bringt die ganzen schlimmen Erinnerungen zurück, oder?«, fragte er. Er klang sehr leise und sehr zärtlich dabei.
Katharina jedoch antwortete ihm nicht. Das Schluchzen packte sie mit neuer Gewalt. Sie wollte aufschreien, aber sie unterdrückte es. Ihre Knie drohten unter ihr nachzugeben, doch Richard hielt sie fest, und es tat gut, ihn zu spüren, ihn zu riechen.
»Sind es die Erinnerungen, Katharina?« Er schob sie ein wenig von sich fort, um ihr ins Gesicht sehen zu können. Fest und fast ein bisschen schmerzhaft lagen seine Finger um ihre Schultern.
Sie schüttelte den Kopf, ohne Richard anzuschauen.
»Sieh mich an!«, befahl er.
Sie schüttelte erneut den Kopf, doch als er noch fester zugriff, da hob sie den Blick und hielt dem forschenden Ausdruck in seinen Augen stand. »Es sind die Erinnerungen an Matthias, die dich quälen.«
Katharina nickte. Sie wusste, dass es schwierig werden würde, Richard noch dazu zu bewegen, ihr bei der Suche nach Heinrichs Mörder zu helfen, wenn er glaubte, dass die Ereignisse sie so sehr quälten. Und doch war es unmöglich, ihm die Wahrheit zu sagen.
Denn der wahre Grund für ihre Tränen war ein gänzlich anderer. Sie weinte, weil das Gespräch, das sie soeben geführt hatten, sie an einen anderen Mann erinnert hatte.
An Egbert. Auch mit ihm hatte sie auf ähnliche Weise disputiert, und als sie eben Richard genauso reden gehört hatte, wie er es getan hatte, war der Verlust ihres Ehemannes wie ein glühender Dorn durch ihr Herz gefahren.
Aber es war völlig undenkbar, Richard das einzugestehen.
14. Kapitel
Nachdem die warmherzige Frau fort war, nach deren Namen zu fragen sie glatt vergessen hatte, wanderte Maria eine Weile unruhig in ihrer Kammer auf und ab. Der Vorhang störte sie dabei, und so zog sie ihn zur Seite und befestigte ihn an den eigens dafür vorgesehenen Haken an der Wand. Die Kordel, die dazu diente, hatte Dagmar aus glitzerndem Garn eigenhändig gedreht, und sie hatte sie an ihren Enden mit zwei hübschen Quasten versehen, die sie mit geschickten Händen selbst hergestellt hatte. Als Maria die Quasten jetzt in der Hand hielt, musste sie daran denken, wie Dagmar sie ihr stolz gezeigt hatte.
»Sind sie nicht schön?«, hatte sie gesagt. Und Maria hatte geantwortet: »Der Kaiser selbst
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