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Cherubim

Cherubim

Titel: Cherubim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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sie einen Kuss auf die Narbe.
    Richard erschauderte unter der Berührung ihrer Lippen.
    »Ich muss nach Hause und nach meiner Mutter sehen«, murmelte sie.
    Er nickte beklommen. Dann stand er auf. »Bevor du gehst«, sagte er mit heiserer Stimme, »darf ich dir etwas beichten?«
    Sie blickte zu ihm auf. Auch in ihren Augen konnte er sich spiegeln, und dort war seine Gestalt nicht verzerrt und buckelig, sondern nur unendlich winzig. Er stellte sich vor, dass er so winzig auch in Katharinas Herzen saß.
    »Ich habe ein schlechtes Gewissen«, sagte er.
    Katharina wartete geduldig.
    »Weil ich froh bin.«
    »Worüber?« Ihre Stimme klang belegt wie seine.
    Richard rieb sich über die Augen. Ein winziger Kohlekrümel von seinen Fingern geriet ihm zwischen die Lider, und er spürte ein schwaches Brennen. Er blinzelte. Sollte er diesen Namen wirklich aussprechen? Er entschied sich, es zu tun. Katharina sollte Klarheit haben.
    »Darüber, dass du Witwe bist.« Er schluckte. »Ich bin froh darüber, dass Egbert tot ist, Katharina.«
    Es dunkelte bereits, als Lukas von Minden sich dem Burgberg näherte. Seine Hand krampfte sich um den Brief, der ihn hergeführt hatte, und er spürte, wie sein Herzschlag sich beschleunigte, als der mächtige Felsen vor ihm auftauchte, der unterhalb der Burgmauern lag und der als Treffpunkt dienen sollte.
    An dem im Brief bezeichneten Punkt blieb er stehen. Er sah sich um.
    Einige Bürger strebten ihren Häusern zu. Ein Gelehrter in der üblichen schwarzen Tracht der Studierten kam aus der Kaiserburg, die, wie Lukas seit dem vergangenen Abend wusste, 1427 von der Stadt dem Burggrafen Friedrich von Brandenburg abgekauft worden war.Ein redseliger Kaufmann, den Lukas in dem Gasthaus kennengelernt hatte, in dem er nach seiner Ankunft am vergangenen Tag eingekehrt war, hatte ihm den ganzen Abend lang Geschichten über die Burg, über die dort ansässigen Grafen und besonders über den letzten von ihnen erzählt. Lukas war nun bestens im Bilde darüber, wie Friedrich mit seinem Bruder Johann an einem Feldzug gegen die Türken teilgenommen und welch enge Beziehung er zu Kaiser Sigmund gepflegt hatte. Die meiste Zeit hatte Lukas dem Redefluss des Mannes nur mit halbem Ohr zugehört, denn in Gedanken war er bei dem heutigen Treffen gewesen.
    Er wollte sich gerade auf dem Rand des Felsens niederlassen, da ertönte hinter ihm eine vertraute, weiche Stimme.
    »Lukas?«
    Er wirbelte herum. Seine Blicke zuckten über die schlanke Gestalt, die vor ihm stand, die rotblonden Haare, die leuchtendblauen Augen. Das so schmerzlich vermisste, leicht schiefe Lächeln.
    »Doktor Jacob!«, brach es aus Lukas heraus. Dann versagte ihm die Stimme.
    »Ich bin es!« Der Mann trat näher. Das Tageslicht war inzwischen vollständig geschwunden, aber die Fackeln, die die Nürnberger überall an ihren Häuserfronten entzündeten, kaum dass die Sonne hinter den Horizont gesunken war, warfen einen flackernden Lichtschein auf den Felsen zu Füßen der Burg. Lukas’ eigener und auch der Schatten des anderen wurden, zu grotesker Größe verzerrt, auf das von Wind und Wetter geglättete Gestein geworfen.
    Lukas wusste nicht, was er sagen sollte. Er öffnete den Mund, schloss ihn wieder. Dann räusperte er sich. »Warum lebt Ihr?«, krächzte er endlich.
    Der Doktor lachte leise.
    Das Geräusch bereitete Lukas eine Gänsehaut, und kurz hegte er die Befürchtung, es mit einem Geist zu tun zu haben. Unwillkürlich wanderte seine Hand zu dem kleinen Silberkreuz, das er an einer Kette unter dem Hemd verborgen trug. »Ihr ... ich dachte, Ihr seid tot!«
    Der Doktor bemerkte seinen hastigen Griff. Sein Lachen erstarb und machte einem ernsten und ein wenig traurigen Ausdruck Platz.»Ich lebe. Der Hieb des Vaganten war weniger heftig, als damals alle glaubten!«
    Seine Worte beschworen die Erinnerung an das Vergangene herauf.
    Lukas sah sich, wie er mit dem Doktor durch einen Hohlweg ritt, der rechts und links von alten Buchen bestanden war. Dicht und düster ragten die Baumkronen über ihnen auf, und es schien, als wollte der wolkenverhangene Himmel, der an manchen Stellen durch die sattgrünen Blätter schimmerte, ihnen eine stumme Warnung zuraunen. Dann sah Lukas die Männer aus den Wipfeln fallen. Flink wie Katzen landeten sie auf dem Boden, direkt vor den beiden Pferden von Lukas und dem Doktor. Die Tiere scheuten. Lukas stürzte, doch der Doktor überwand seine Überraschung schnell genug, um das Gleichgewicht zu bewahren. Der Kampf,

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