Cherubim
der daraufhin entbrannte, war nur eine verschwomme Mischung aus Keuchen, aus dumpfen Schmerzen und schrecklicher Angst, die abrupt abgeschnitten worden war, weil ein Hieb Lukas seitlich am Kopf traf und alles Empfinden auslöschte.
Als er wieder zu sich gekommen war, waren die Vaganten fort, ebenso die Pferde und sämtliches Gepäck, das Lukas und der Doktor mit sich geführt hatten. Der Doktor lag auf dem schlammigen Boden, denn inzwischen hatte es begonnen zu regnen. Kalt fielen die schweren Tropfen aus dem Laubdach der Bäume. Lukas robbte zu seinem Mentor hinüber, untersuchte ihn. Blut rann dem Doktor aus einer furchtbaren Kopfwunde, ergoss sich über sein rechtes geschlossenes Augenlid, wo es sich wie in einer Pfütze sammelte.
»Doktor!«, rief Lukas verzeifelt, aber er erhielt keine Antwort.
Er legte den Kopf auf des Doktors Brust und hörte erleichtert den schwachen Hall seines Herzens. Jetzt sah er auch, dass sich der Brustkorb des Mannes hob und senkte. Er war noch am Leben.
Lukas warf den Kopf in den Nacken und dankte Gott dafür.
Nachdem er einigermaßen zur Besinnung gekommen war, überlegte er fieberhaft, was er nun tun sollte. Er konnte den Doktor nicht allein in die nahegelegene Stadt Köln schaffen, dazu war er bei weitem nicht stark genug.
Also räusperte er die Kehle frei. Und begann, um Hilfe zu rufen ...
Die Vergangenheit verschwamm in den Nebeln seiner Erinnerung.
Lukas schaute in das lächelnde Gesicht des Doktors. Irgendwo in einer der unzähligen Nürnberger Kirchen läutete eine Glocke. Sie hatte einen eiligen, atemlos klingenden Ton.
»Dein Vater hat mich gut gepflegt«, sagte der Doktor. »Ich bin nicht gestorben, auch wenn ich selbst lange Zeit sicher war, das ich es würde.«
Nachdem ein vorbeikommender Waldbauer Lukas’ Rufe gehört hatte, hatte er Lukas geholfen, den verletzten Doktor nach Köln zu bringen. Hier lebte Lukas’ Vater, der, genau wie der Doktor, der Zunft der Ärzte angehörte. Er hatte sich um die schwere Schädelverletzung gekümmert, aber er hatte wenig Hoffnung gehegt, dass es ihm gelingen würde, den Mann zu retten.
Jetzt nickte Lukas. »Ihr selbst habt mich nach Nürnberg geschickt, um Eurer Frau von Eurem Tod zu berichten«, erinnerte er sich. »Ich wollte nicht gehen, ich wollte mich an die Hoffnung klammern, dass Ihr überleben werdet. Aber Ihr ließt mich nicht.«
Der Doktor schob seinen ausladenden Hut ein wenig nach hinten. »Ich war sicher, dass ich sterben würde.« Ein schmales Lächeln erhellte seine Züge. »Dass dein Vater das Wunder vollbringen würde, mich zu retten, ahnte ich damals nicht.«
»Ihr habt überlebt!« Lukas schüttelte den Kopf. Tausend Fragen geisterten ihm durchs Hirn, und er wusste nicht, welche er davon zuerst stellen sollte. »Warum habt Ihr mich so lange im Ungewissen gelassen?«, fragte er endlich.
»Die Umstände.« Der Doktor streckte einen Arm aus, wie um Lukas’ Schultern damit zu umfangen, doch der wich ein wenig zurück. Noch immer war er sich nicht ganz sicher, ob er einen leibhaftigen Menschen vor sich hatte oder doch eine Inkarnation des Teufels.
Der Doktor bemerkte seine Unsicherheit. »Es wird sich alles finden«, meinte er. »Wir werden Zeit haben zu reden, und dann werde ich dir alles erklären. Aber meinst du nicht, dass es besser ist, erst mal aus dieser elenden Kälte zu kommen?«
Lukas schluckte. Sein Blick suchte den des Doktors. Da war etwasin diesen blauen Augen, das ihm fremd vorkam. Er versuchte zu ergründen, was es war, aber er vermochte es nicht zu sagen. Seine Hand legte sich auf das Kreuz unter seinem Hemd. »Gut«, meinte er zögernd.
Da wies der Doktor in Richtung Burgstraße. »Ich habe ein Haus südlich der Pegnitz. Komm, da reden wir über alles.«
Das Haus war ein riesiges, herrschaftliches Gebäude, das offenbar schon seit längerem leerstand. Als der Doktor die Tür öffnete und sie eintraten, hüllte ein stechender Geruch Lukas ein. Er versuchte zu ergründen, wonach es roch. Er erkannte Staub und Schimmel und noch etwas anderes.
»Ich habe es selbst erst gestern erstanden«, entschuldigte der Doktor sich. »Es ist noch nicht hergerichtet, aber das wird es bald.« Er zündete eine Lampe an und hielt sie in die Höhe.
Ein langer düsterer Gang erstreckte sich vor Lukas in die Tiefe des Gebäudes hinein, den sie entlanggingen. Je weiter sie kamen, um so schlimmer wurde der Gestank.
Lukas verzog das Gesicht. »Wie haltet Ihr das aus?«
Der Doktor schaute ihn an. »Was
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