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Cherubim

Cherubim

Titel: Cherubim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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wirkte, als hätte er am liebsten auf dem Absatz kehrtgemacht.
    »Zu ... jemandem, den Ihr gut kennt.«
    Die Sonne stand inzwischen tief, und es würde bald an der Zeit sein, sich auf den Weg nach St. Katharina zu machen, wo Katharina sich mit Maria treffen wollte. Dennoch zögerte sie, dem jungen Mann einfach die Tür vor der Nase zuzuschlagen. »Von wem sprecht Ihr, bei allen Heiligen!«, rief sie aus.
    »Mein Name ist Lukas«, sagte er, als würde das etwas erklären. »Lukas von Minden.«
    Katharina nickte, weil sie sich daran erinnerte, dass er ihr auch damals diesen Namen genannt hatte. Sie wusste noch allzu gut, welche Gefühle sein Auftauchen an jenem Tag in ihr ausgelöst hatte. Erst die Neugier, was ihn wohl zu ihr führen mochte. Dann Sorge, weil er betroffen wirkte. Schließlich die Gewissheit, dass er mit einer schlechten Nachricht kam. Und am Ende der Abgrund der Verzweiflung, nachdem er ihr erzählt hatte, dass Egbert bei einem Überfall von Vaganten erschlagen worden war.
    Sie versuchte, sich diese Verzweiflung zurück ins Gedächtnis zu rufen, und stellte fest, dass sie nur noch die Erinnerung daran besaß. Sie empfand bei dem Gedanken, dass Egbert nicht mehr lebte, kaum noch mehr als eine Form von Bedauern. Die tiefe Trauer – und auch die melancholia , die in ihrem Gefolge gestanden hatten – waren fort und hatten den Gedanken an einen anderen Mann Platz gemacht.
    Richard.
    »Ich habe keine Zeit, mit Euch zu kommen«, sagte sie, bemüht, diese Absage so freundlich wie möglich klingen zu lassen. »Ich muss gleich zu einem wichtigen Treffen.«
    Lukas schluckte so stark, dass Katharina seinen Kehlkopf rucken sehen konnte. »Ich glaube ...«, setzte er an und fuhr nach einer Pause fort: »... dass Ihr dieses andere Treffen verschieben solltet.«Und dann holte er so tief Luft, dass sein gesamter Körper dabei erbebte. »Euer Mann«, flüsterte er.
    Und verstummte.
    Katharina wartete. Eine kalte Hand griff nach ihrem Genick, ließ einen eisigen Schauer ihren Rücken hinunterrieseln.
    »Egbert Jacob«, fügte Lukas hinzu.
    Auffordernd nickte Katharina. »Was ist mit ihm?«
    »Ich bin gekommen, um Euch zu sagen, dass er noch lebt.«
    Sie spürte, wie ihr Gesicht ganz kalt wurde. Noch immer hielt sie sich am Türrahmen fest, und jetzt krallten sich ihre Fingernägel in das raue Holz. Zwei von ihnen bogen sich nach oben durch, aber der Schmerz war nur eine ferne Empfindung. Es schien, als gehöre ihr Körper ihr plötzlich nicht mehr, als sei ihr Geist aus ihm herausgetreten und schaue zu, wie sie dastand, wie sie Lukas von Minden anstarrte. Wie sie den Mund öffnete und wieder schloss und schließlich nur zwei Worte hervorbrachte: »Er lebt?«
    Lukas hielt ihrem flammenden Blick stand. »Kommt mit mir, dann werdet Ihr es sehen.« Er wies auf den Henkerssteg.
    Mit einem Ruck kehrte Katharinas Geist zurück in ihren Körper. Auf einmal spürte sie sich wieder, den feinen Schmerz in ihren Fingerspitzen, die Gänsehaut auf ihren Armen und auf dem Rücken. Ihr hämmerndes Herz, das mit solcher Macht hinter ihren Rippen pochte, dass sie kaum noch Luft bekam.
    Ohne dass sie es wirklich wollte, griff sie nach ihrem Mantel und warf ihn sich über. »Ich muss kurz noch einmal weg, Mutter!«, rief sie nach oben.
    »Bleib nicht so lange!«, erhielt sie zur Antwort, aber das hörte sie kaum noch, denn schon zog sie die Haustür ins Schloss und blickte Lukas an. »Gehen wir!«
    Lukas führte sie über den Henkerssteg, vorbei am Fleischhaus und dann linker Hand durch eine ganze Reihe enger Gassen und Gässchen bis zur Frauentormauer. Dort blieb er vor einem ehemals stattlichen, jetzt jedoch reichlich verwahrlosten Haus stehen, dessen Balken zwischen dem zweiten und dritten Stockwerk mit der Darstellung eines ein Netz auswerfenden Mannes verziert war.
    Unbehaglich sah Katharina sich um. Von hier aus war es nicht mehr weit bis zur Karthäusergasse, wo sie früher mit Egbert gewohnt hatte.
    Egbert.
    Am Leben?
    Als habe die Vergangenheit plötzlich ihre Klauen nach ihr ausgestreckt und bedrohe sie damit, fühlte sie sich angegriffen und verwundbar.
    Lukas schenkte ihr ein zaghaftes Lächeln. »Er weiß nicht, dass ich Euch herhole«, meinte er und verstärkte Katharinas Unbehagen damit noch. »Es wird eine große Überraschung werden.« Er rieb sich die Hände. Dann erklomm er die wenigen Stufen, die zur Haustür hinaufführten, holte einmal tief Luft und zog an der Klingel, die, das registrierte Katharina nur am Rande,

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