Cherubim
Mannes zu überbringen. Diesmal kam er, um ihr zu sagen, dass Egbert noch lebte. Dass er ihre Hilfe brauchte.
Zu seiner eigenen Überraschung zitterte er genauso stark wie damals.
Er hob die Hand, um an der Haustür zu pochen, aber bevor er das tun konnte, ertönte hinter ihm eine Stimme: »Da werde Ihr kein Glück haben!«
Lukas drehte sich um.
Vor ihm stand eine Frau, die ganz offensichtlich hier in der Nachbarschaft wohnte. Sie trug einen pelzbesetzten Mantel, und ein Korb hing über ihrem Unterarm, der verschiedene Garnknäuel enthielt. Wenn Lukas hätte raten müssen, was sie vorhatte, hätte er gesagt, sie sei unterwegs, um zum Handarbeiten zu einer Freundin zu gehen.
So jedoch meinte er nur: »Wie bitte?«
Die Frau zuckte zusammen, als sie seine Hasenscharte sah, aber sie hatte sich rasch wieder im Griff. Nur ein rasches Zwinkern zeigte noch ihren Schrecken.
»Das Haus«, wiederholte sie. Sie hatte schiefstehende Zähne und wie zum Ausgleich dafür lange seidig-glänzende Haare, die sie zu einer komplizierten Frisur aufgetürmt hatte. »Da wohnt niemand. Jedenfalls nicht im Moment. Es ist verkauft worden.«
Lukas schluckte. Ein wenig Erleichterung durchflutete ihn, und die Hoffnung, den schweren Gang, den er sich vorgenommen hatte, nun doch nicht machen zu müssen. Aber dann hörte er sich fragen: »Die Frau, die früher hier wohnte, Katharina Jacob, wisst Ihr, wo ich sie jetzt finden kann?«
Er wurde überaus abschätzig gemustert. »Ihr solltet lieber die Finger von ihr lassen!«
Ich habe nicht vor, sie anzurühren , dachte Lukas mit einem Anflug von bitterem Humor. Ich will ihr nur sagen, dass ihr Mann noch am Leben ist. Laut fragte er: »Warum?«
»Sie wurde letzten Sommer der Hexerei angeklagt, aber man hat sie freigesprochen. War ein Fehler, wenn Ihr mich fragt! Sie musste das Haus verkaufen, weil ihr Mann tot ist und sie es nicht mehr halten konnte.«
»Wisst Ihr, wo sie jetzt wohnt?«
»Ja.« Ein Ausdruck erschien auf dem Gesicht der Frau, den Lukas nur auf eine Weise zu deuten wusste. Es war Ekel.
»Und wo?«, hakte er nach.
»Im Henkershaus!« Die Frau spuckte ihm die beiden Worte förmlich vor die Füße. »Musste zu ihrem Stiefvater ziehen, als sie Witwe wurde. Blöderweise ist der auch ...«
»Danke!« Lukas nickte der Frau höflich zu und drängte sich weitaus weniger höflich an ihr vorbei.
»Frechheit!«, hörte er sie murmeln.
Dann bog er um eine Ecke und ließ die Frau und ihr bösartiges Getratsche hinter sich zurück.
18. Kapitel
Nachdem sie Raphael Krafft getroffen hatte, wäre Katharina am liebsten sofort ins Kloster zu Kunigunde gegangen, um ihr die gute Nachricht zu überbringen. Aber sie erinnerte sich daran, dass die Priorin heute keinen Besuch mehr empfangen würde – und auch daran, dass ihre Mutter zu Hause jemanden brauchte, der sich um sie kümmerte.
Noch immer ein wenig verletzt darüber, dass sie an der Klosterpforte abgewimmelt worden war, kehrte Katharina also ins Henkershaus zurück.
Mechthild saß in ihrem Lehnstuhl und spann einen großen Ballen weiße Wolle zu einem gleichmäßigen Faden, den sie auf eine Spindel aufwickelte. Katharina gesellte sich zu ihr.
Für den Augenblick, so schien es, herrschte wieder einmal Waffenstillstand zwischen ihnen.
Gemeinsam aßen sie zu Abend, und dabei entspann sich sogar ein richtiges Gespräch, in dessen Verlauf Katharina ihrer Mutter erzählte, was ihr den Tag über alles widerfahren war.
Ein Klopfen an der Haustür störte sie. Draußen begann die Sonne bereits zu sinken. Verwundert stand Katharina auf und ging, um zu öffnen. Und als sie sah, wer vor ihr stand, erstarrte sie.
Gott selbst hatte die Zeit zurückgedreht, um sie mit einem der schlimmsten Augenblicke in ihrem Leben zum zweiten Mal zu konfrontieren!
Vor ihr stand ein junger Mann mit einer Hasenscharte.
»Was ...?« Sie musste Atem holen, bevor sie einen weiteren Ton herausbrachte. Es war nur ein Krächzen. Genau dieser junge Mann hatte ihr vor Monaten die Nachricht von Egberts Tod überbracht.
Katharina griff nach einem Halt am Türrahmen. »Was wollt Ihr hier?«
Der junge Mann wirkte unglücklich und befangen. Er hatte eine schlichte Mütze auf, die er jetzt vom Kopf zog und in den Händen knetete. »Ich ... komme, weil ich Euch bitten will, mich zu begleiten.«
»Wohin?« Kurz dachte Katharina, der junge Mann brauche sie, um nach einem Kranken zu sehen, aber das erklärte nicht die Angst und das Unbehagen, das er zu empfinden schien. Er
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