Cherubim
als Fisch gestaltet war.
Das Läuten im Inneren des Hauses ähnelte dem von Hartmann Schedels Glocke. Einen Moment lang geschah nichts. Dann wurde die Tür geöffnet.
Und Katharina stieß ein ungläubiges »Heilige Mutter Gottes!« aus.
Maria hockte in ihrer engen Wohnung auf dem Bett und lauschte. Irgendetwas war nicht so wie sonst, aber sie vermochte nicht zu sagen, was es war. Forschend legte sie den Kopf von einer Seite auf die andere, aber vergeblich.
Nachdem sie am Vortag aus dem Henkershaus zurückgekommen war, hatte sie versucht zu schlafen, aber die ganze Nacht hatte sie sich unruhig auf ihrem Lager hin und her gewälzt. Als endlich die Sonne aufgegangen war, hatte Maria sich zu einem Spaziergang aufgemacht, der sie fast den gesamten Vormittag über von einem Winkel Nürnbergs in den anderen getrieben hatte. Erst weit nach Mittag war sie zurück nach Hause gekehrt, nur, um in ihrer engen Wohnung weiterhin unruhig auf und ab zu marschieren.
Immerhin hatte die Bewegung die Gedanken und Erinnerungen in ihrem Kopf in Schach gehalten. Die Stimmen hatten sich in ein stetiges, kaum verständliches Wispern hinten in ihrem Schädel verwandelt.
Jetzt saß sie da, schob die Stimmen noch weiter in den Hintergrund ihres Geistes und strengte die Ohren an, um zu ergründen, warum ihre Wohnung sich plötzlich anders anhörte. Ihr Blick fiel auf den Käfig mit den Tauben. Wieder einmal hatte sie am Morgen vergessen, das Tuch abzunehmen. Das schlechte Gewissen trieb sie auf die Beine. Sie griff nach zwei Zipfeln des Tuches und zog daran. Mit einem flüsternden Geräusch, das sich anhörte, als gleite eine Schlange über einen Steinfußboden, fiel es zu Boden.
Und Maria wusste, warum sich die Geräusche im Raum plötzlich so anders angehört hatten.
Statt vier Tauben befanden sich in dem Käfig nur noch zwei!
Maria ballte die Rechte zur Faust und biss in ihre Knöchel. Dann wich sie einen Schritt zurück.
Wo waren die anderen beiden Tauben geblieben?
Sie sah genauer hin und stellte fest, dass ausgerechnet jene beiden fehlten, denen sie zwei Tage zuvor die Augen ausgestochen hatte.
Ihre Lippen formten ein lautloses Gebet, und sie vermochte nicht zu entscheiden, ob sie es an Gott oder an Adonai richten sollte. »Hast du mein Opfer angenommen, Vater?«, flüsterte sie. Diese Anrede erschien ihr ausreichend passend für beide Seiten.
Ein angenehm warmes Glücksgefühl durchströmte sie.
Weiße Tauben, Prinzessin , sagte die sanfte Stimme in ihrem Kopf. Weißt du, dass sie sie im Tempel opfern, um Adonai um Vergebung für unsere Sünden zu bitten?
Maria legte beide Hände an die Wangen. Sie konnte die Nässe dort spüren, und sie begriff, dass sie angefangen hatte zu weinen.
Langsam wich sie zu ihrem Lager zurück und ließ sich auf die Kante sinken.
War es ein Zeichen?
Ein Zeichen dafür, dass sie tatsächlich Jüdin war, dass der Gott ihrer Väter zu ihr gesprochen hatte?
Das Läuten einer Glocke drang in ihr Bewusstsein, zerschnitt das Glücksgefühl und auch die Sicherheit, die sie noch eben empfunden hatte.
Die kreischende Stimme meldete sich mit Wucht zu Wort.
Du bist Christin! , giftete sie.
Maria schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte sie bestimmt. »Mein Name ist Mirjam, und ich bin Jüdin!« Doch die Stimme ließ sich nicht wieder vertreiben. Christin! Christin , schrie sie.
»Jüdin.« Jetzt murmelte Maria nur noch.
Die keifende Stimme wurde noch zorniger.
Mit einem Ruck stand Maria auf. Eine Stunde nur noch, dann würde sie Katharina treffen! Maria hatte die Wohnung schon halb verlassen, als ihr etwas in den Sinn kam. Sie drehte sich noch einmal um.
Wenig später stand sie vor der Fassade der Katharinenkirche und starrte daran empor. Im Vergleich zu einigen anderen Kirchen Nürnbergs, der Sebalduskirche zum Beispiel oder auch der Lorenzkirche, war St. Katharina ein ganzes Stück kleiner und auch sehr viel weniger verziert. Das Dach der angrenzenden Klostergebäude war mit Holzschindeln gedeckt, etliche Wände bestanden statt aus festem Stein aus weiß getünchtem Fachwerk, das der gesamten Anlage etwas Bäurisches gab.
Während Maria dastand und die Gläubigen an ihr vorbei ins Innere der Kirche strömten, wurde es über den Dächern der Stadt langsam dunkel.
Schließlich begannen die Glocken zu läuten zum Zeichen, dass die Messe sogleich beginnen würde.
Von Katharina keine Spur.
Maria presste die Lippen zusammen. Sie tastete durch das Loch in ihrem Rockfutter hindurch, fühlte Mimis Kopf
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