Cherubim
und Haare und einen Wust weicher Federn. Alles zusammen gab ihr wenigstens den Anflug von Sicherheit, und sie wiegte sich darin, bis der letzte Glockenschlag mit einem Dröhnen in der hereinbrechenden Nacht verklang.
Kurz schwankte sie, ob sie ohne Katharina ins Innere der Kirche gehen sollte, doch schließlich fasste sie sich ein Herz. Sie schlang ihren Schal um den Kopf. Dann langte sie nach dem Griff der Tür, und sie betrat den Kirchenraum genau in jenem Moment, in dem die Nonnen im Chor den Eingangsvers zu singen begannen.
So leise sie es vermochte, huschte sie in die letzte Bank und richtete den Blick auf den Chor. Während die Menschen rings um sie demGesang lauschten, trat ein Priester nach vorn und verschwand durch eine niedrige Tür im Lettner, einer doppelt mannshohen Chorschranke, die den Chorraum fast wie einen Käfig wirken ließ.
Maria betrachtete den Lettner, der mit Schnitzereien so reich verziert war, dass von den dahinter befindlichen Nonnen – und nun auch von dem Priester – nur winzige Teile zu erkennen waren.
Der Priester trat an den Altar, der genau in der Mitte des Chores stand. Er war ebenfalls aus Holz geschnitzt, und die Szene, die auf seinem Aufbau zu erkennen war, zeigte, soweit Maria das durch die Lücken im Lettner zu erkennen vermochte, Christus auf dem Weg zur Kreuzigung.
Sie starrte auf diese Darstellung, und wieder breitete sich dieses Gefühl von Unruhe und Desorientiertheit in ihr aus, das sie in der letzten Zeit so häufig empfand. Wen sollte sie anbeten: diesen Mann dort vorne, der einen grausamen Tod am Kreuz gestorben war, oder doch lieber Adonai, den wahren und einzigen Gott?
Maria versuchte, sich auf die Handlungen des Priesters zu konzentrieren. Früher hatte ihr der streng geregelte Ablauf einer christlichen Messe stets gutgetan, hatte ihr Gemüt beruhigt, wenn sie aufgeregt gewesen war, oder hatte ihr Trost in Situationen der Traurigkeit und Angst gespendet.
Dieses Gefühl versuchte Maria nun wieder heraufzubeschwören.
Der Priester trug eine einfache weiße Albe, über die ein grünes Messgewand gezogen war. Seine Tonsur schimmerte im Schein der Kerzen, die auf dem Altar brannten, und an der Art, wie ihm die schütteren Haare um die Ohren abstanden, erkannte sie, dass es sich um Johannes Schedel handeln musste. Er sah tatsächlich genauso aus, wie Katharina ihn ihr beschrieben hatte. Maria ließ ihre Blicke durch die Kirche schweifen. Anders als St. Sebald, das schon jene neuartigen, schrankförmigen Möbel besaß, die man als Beichtstuhl bezeichnete und in denen Priester und Beichtender vor den neugierigen Blicken der Umstehenden verborgen waren, wurde in St. Katharina noch am Lettner gebeichtet.
Maria presste die Lippen zusammen. Sie wusste nur zu gut, wie die Leute darauf reagierten, wenn eine Hure wie sie die Beichte ablegte. Oft genug hatte sie das hämische Zischen der scheinheiligenFrauen im Ohr gehabt, die völlig unverhohlen die Nasen über sie rümpften, oder noch schlimmer: Sie hatte die mitleidigen Blicke der Männer im Rücken gespürt, die sich des Nachts heimlich zu ihr schlichen, es aber in aller Öffentlichkeit tunlichst vermieden, ihr auch nur zu nahe zu kommen.
Das Tagesgebet und auch die erste Lesung rauschten an Maria vorbei, ohne dass sie ihnen zu folgen vermochte. Der lateinische Klang der Worte dröhnte in ihren Ohren, und der Weihrauch, den zwei Messdiener mit ihren Rauchfässchen verbreiteten, erreichte die letzte Bankreihe und kratzte ihr im Hals. Maria unterdrückte ein Husten.
Die Nonnen hatten den Blick streng geradeaus gerichtet, und weil ihr Gestühl im rechten Winkel zu den Bänken der restlichen Kirche stand, wandten sie Maria ihr Profil zu. Maria betrachtete die schwarzen Schleier, gegen die sich die Haut der Nonnen milchigweiß und blässlich abhob, und verkniffene Münder, von denen der ein oder andere ein Gähnen unterdrücken musste.
Die Menschen vor dem Lettner lauschten den Gesängen und Gebeten mit unterschiedlich großer Aufmerksamkeit. Einige Frauen beteten nebenher ihren eigenen Rosenkranz. Zwei Reihen vor Maria saß ein ältliches Weib mit zwei Kindern, denen es sichtlich langweilig war. Ungeduldig rutschte eines von ihnen auf seiner Kirchenbank vor und zurück, bis es eine Kopfnuss erhielt, die Maria bis zu ihrem Platz hören konnte. Sie fühlte mit dem armen Wurm, dessen Schultern nun sachte zu beben begannen.
Sie ließ auch noch den Rest der Messe über sich ergehen, wartete dann, bis die meisten
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