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Cherubim

Cherubim

Titel: Cherubim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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geschehen, Witwe zu sein. Konnte man sündigen, ohne eine böse Absicht dabei zu haben?
    Sie wusste es nicht.
    Alles, was sie wusste, war, dass Richards Anblick ihr schier das Herz zerriss. Am liebsten hätte sie auf dem Absatz kehrtgemacht und wäre davongelaufen.
    Doch das ging natürlich ebenso wenig, wie sie ihn auf offener Straße umarmen konnte. Also trat sie zögerlich einen Schritt auf ihn zu.
    Arnulf war bei ihm, das bemerkte sie jetzt erst. Der Nachtrabe stand ein wenig im Hintergrund, aber er musterte Katharina mit der gleichen Intensität, mit der es auch Richard tat. Beide Männer wirkten blasser als sonst, betroffen.
    Katharinas Blick wanderte über ihre Köpfe hinweg zum Luginsland, der sich dort in einer Lücke zwischen zwei Häusern in den Himmel reckte.
    »Wie geht es Maria?«, fragte sie.
    »Nicht gut.« Richard trat vor Katharina hin. Er betrachtete sie von Kopf bis Fuß, und Katharina spürte die Sorge, die er um sie empfand, wie einen warmen Mantel, der sie einhüllte. »Aber was ist mit dir?« Er flüsterte die Frage.
    Arnulf trat neben ihn.
    Nichts! Nur: Egbert ist am Leben!
    Katharina vermochte nicht, diese Worte auszusprechen. Nicht auf offener Straße. Nicht in Arnulfs Gegenwart.
    Sie wusste, dass der Nachtrabe Richards bester Freund war und dass die beiden Männer jedes noch so düstere Geheimnis miteinander teilten. Dennoch wollte sie Richard die Möglichkeit geben, selbst zu entscheiden, ob Arnulf von dieser Angelegenheit erfahren sollte oder nicht.
    Bei allen Heiligen, sie wusste ja nicht einmal, ob er Arnulf von ihrem Kuss erzählt hatte!
    Also schluckte sie die Worte herunter, die ihr bereits auf der Zunge lagen. »Ich war gestern Abend mit Maria an der Kirche verabredet«, gestand sie leise. »Ich habe es vergessen.« Die Schuldgefühle, die bei Richards Anblick für einen Augenblick in den Hintergrund gedrängt worden waren, kehrten mit unverminderter Wucht zurück.
    »Oh, Katharina!« Richard war versucht, die Hand nach ihr auszustrecken, aber auch er bemühte sich um eine gewisse Distanz. Er tat es aus Takt, das wusste sie.
    In diesem Moment wurde der Wunsch, ihre Sorgen und Nöte mit ihm zu teilen, übermächtig. Sie wollte sich an ihn lehnen, ihm alles erzählen, was sie quälte, so wie sie es damals im Lochgefängnis getan hatte, als er in einer ihrer dunkelsten Stunden bei ihr geblieben war. Sie wollte spüren, wie er ihr über das Haar strich, wie er ihr die Gewissheit gab, dass, egal, was auch immer sie tat, sich an seinen Gefühlen für sie nichts ändern würde. Sie wollte die Hoffnung, dass alles gut werden würde.
    Das verzerrte Gesicht von Egbert schob sich vor Katharinas inneres Auge, und alles Wünschen zerstob zu Splittern.
    »Ihr wart bei ihr, oder?«, fragte sie.
    Arnulf nickte.
    »Ich möchte sie ebenfalls sehen.«
    »Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist?«, fragte Richard. »Sie hat nicht mehr alle Sinne beisammen.«
    »Nein.« Katharina wies auf den Turm. »Aber sie sitzt vielleicht dort, weil ich mein Versprechen nicht gehalten habe. Ich bin ihr wenigstens eine Erklärung schuldig!«
    Eine Erklärung schuldig ...
    Von der Seite her sah sie Richard an.
    Ebenso wie ihm.
    Sie biss die Zähne zusammen, dass es schmerzte. Tief in ihrem Kopf erwachte das kleine Tier, das konnte sie spüren. Und es begann, seine klebrigen Fäden zu spinnen.
    Sie ging einfach zwischen Richard und Arnulf hindurch.
    »Warte!« Richard kam ihr nach. »Lass mich dir erst erzählen, warum sie es getan hat, und dann überlege neu, ja?«
    Widerwillig nickte Katharina.
    Richard holte Luft, und dann erzählte er ihr eine Geschichte, die ihr die Luft wegbleiben ließ. Er sprach davon, wie Maria als kleines Kind aus den Armen ihrer Eltern gerissen worden war. Wie man mit Schlägen und harten Strafen versucht hatte, eine Christin aus ihr zu machen. Wie sie jahrzehntelang verzweifelt versucht hatte, sich zu fügen, das Richtige zu glauben, und wie sie am Ende doch daran gescheitert war.
    »Es war zu viel für ihre arme Seele!«, murmelte Katharina, nachdem Richard geendet hatte. »Sie musste irgendwann den Verstand verlieren.«
    Richard sah ihr forschend ins Gesicht. »Du weißt jetzt, was der Grund für ihre Tat war. Dich trifft keine Schuld.«
    Sie sagte nichts dagegen, erwiderte nur seinen Blick. Ganz kurz versank sie in seinen dunklen Augen, ihr Herzschlag beschleunigte sich, doch dann besann sie sich auf den Ernst der Situation, in der sie sich beide befanden. Die Gefühlswallung

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