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Cherubim

Cherubim

Titel: Cherubim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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weitaus gefährlicher aus, als die Wunde vermuten ließ. Katharina biss die Zähne zusammen.
    »Bleiben wir doch ruhig bei einer vertrauteren Anrede«, meinte sie und versuchte, leichthin zu klingen. Einen Nachtraben duzen –dass sie das irgendwann einmal tun würde, hätte sie sich in ihrem früheren Leben nicht träumen lassen!
    Arnulf hob eine Augenbraue. »Gut«, sagte er dann nur und sah Richard an.
    Katharina ließ sich in einen der Lehnsessel fallen und vergrub das Gesicht in den Händen. Langsam erst bahnte sich die Erkenntnis dessen, was geschehen war, einen Weg in ihr Bewusstsein. Maria war tot. Und sie, Katharina, hatte ihren Anteil Schuld daran, dass die Ärmste überhaupt im Turm gelandet war.
    »Was gedenkst du in dieser Angelegenheit zu tun?«, hörte sie Arnulf fragen.
    Richard nahm seine Wanderung wieder auf. Sein Schritt wirkte schwerfällig, aber da auf seinem Rücken keine Spur von Blut zu sehen war, war Katharina einigermaßen beruhigt. Zumindest äußerlich war er aus dieser Sache unversehrt herausgekommen. »Du meinst, ob ich vor dem Rat Anzeige erstatte?«
    Finster nickte Arnulf, und irritiert sah Katharina ihn an. »Wir wissen, dass Silberschläger mit den Aufrührern unter einer Decke steckt!«, erklärte er ihr.
    Katharina riss die Augen auf. »Ihr meint, der Bürgermeister ...«
    »... hat einige Gründe, die Juden aus der Stadt haben zu wollen. Tausendeinhundert Gründe, um genau zu sein.«
    Noch immer begriff Katharina nicht. Ihre Gedanken waren träge, als habe jemand sie betäubt.
    Richard meinte: »Der ach so ehrbare Bürgermeister hat Schulden, Katharina. Genauer gesagt: Er schuldet jemandem tausendeinhundert Gulden. Und zwar einem der jüdischen Geldverleiher.«
    Endlich begriff Katharina. Tausendeinhundert Gulden! Das war ein Vermögen! Das Silberschläger nicht mehr zurückzahlen musste, wenn der Stadtrat beschloss, die Juden zu vertreiben. Wie es auch in anderen Reichsstädten – ebenso in Nürnberg – schon vorgekommen war.
    Sie knirschte mit den Zähnen. »Verstehe!« Sie wollte aufstehen, aber sie musste nach der Sessellehne greifen, weil Schwindel sie erfasste.
    »Katharina!« Richard sprang auf. »Du wirst ganz blass!« Er kamzu ihr geeilt und nahm sie behutsam am Ellenbogen. Dann drückte er sie zurück in den Sessel. »Was hast du?«
    Da lagen ihr all die Dinge auf der Zunge, die sie quälten. Plötzlich war es ihr egal, ob Arnulf alles mitanhörte oder nicht. Sie öffnete den Mund, um Richard von Egbert zu erzählen, von seinem plötzlichen Wiederauftauchen zum ungünstigsten Zeitpunkt, von der Selbstverständlichkeit, mit der er sein Leben mit ihr fortzusetzen gedachte. Von ihrem eigenen Widerwillen, genau das zu tun. Von der unheimlichen Veränderung, die mit ihm vor sich gegangen war.
    Sie klappte jedoch den Mund wieder zu, weil sie für kein einziges dieser Dinge auch nur ansatzweise die richtigen Worte fand. Auf einmal spürte sie ein Zittern am gesamten Körper, ein Zittern, so machtvoll, dass ihre Zähne aufeinanderschlugen.
    »Ich ...« Sie brach ab. Dann sah sie Richard in die Augen. Sie wollte ihm sagen, dass sie sich in ihn verliebt hatte, aber sie wusste, dass sie das nicht durfte. Es würde ihn noch schwerer verletzen, als unbedingt nötig war, wenn er erfuhr, was geschehen war.
    Sie musste alle Kraft aufbringen, die sie in sich hatte, um sich aus dem Sessel in die Höhe zu stemmen. Richard wich zurück, so dass sie ihm entkommen konnte.
    »Es tut mir leid!«, murmelte sie. Sie vermochte es nicht mehr, seinen fragenden Blick auszuhalten, sondern drängte sich mit gesenktem Kopf an Richard vorbei. Sie erreichte die Tür des Kontors gerade in dem Augenblick, in dem Thomas mit den warmen Getränken hereinkommen wollte.
    Unsanft stieß sie gegen sein Tablett. Sie sah nicht nach, ob sie die Krüge darauf umgestoßen hatte. Blind vor Tränen rannte sie hinaus auf die Straße.

22. Kapitel
    Zwei Tage später
    In den vergangenen zwei Tagen hatte es immer wieder einmal geschneit, aber es war nicht mehr so kalt gewesen, dass der Schnee auch liegenblieb. So hatte Nürnberg sich in ein Labyrinth verwandelt, dessen Wege teilweise aus Schlamm und zum anderen Teil aus nassem, glitschigen Pflaster bestanden.
    Seit sie Richards Haus so überstürzt verlassen hatte, fand Katharina sich in der schlimmsten melancholia gefangen, die sie jemals verspürt hatte. Morgens fiel ihr das Aufstehen so schwer, dass sie es nur mit der allergrößten Mühe und Selbstbeherrschung

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