Cherubim
Richard und Arnulf nun wahrgenommen. »Helft mir!«, kreischte sie. Ihr Blick hing wie gebannt auf der Dolchspitze.
»Ich will ihr nichts ...«, setzte Egbert an, doch in diesem Augenblick wurde jenseits des Chores eine schlichte Holztür aufgestoßen. Heraus kam ein Mönch, den Richard nur zu gut kannte: Bruder Johannes.
Arnulf und Richard nutzten den Moment, um sich ein gutes Stück näher an den Lettner heranzuschieben.
Katharina drängte sich an Bruder Johannes und Hohenheim vorbei, und das, was sie sah, ließ sie aufwimmern.
Egberts Kopf ruckte zu ihr herum, und er duckte sich wie unter einem Schlag.
Katharinas Blick glitt über ihn, hin zu dem Dolch in seiner Hand. Die kurze Klinge, die er selbst ihr kurz zuvor gegeben hatte, entglitt ihren Fingern und landete mit einem Klirren auf dem Steinfußboden der Kirche. »Du?«, hauchte Katharina. Das eine Wort hing schwer in der weihrauchgeschwängerten Luft. Der Boden zu ihren Füßen wurde zu Glas, dünn und brüchig, und darunter lauerte der Abgrund.
Dann huschte ihr Blick über Egbert hinweg und zu Richard.
Erleichterung durchfuhr sie mit solcher Macht, dass sie taumelte. »Richard, Gott sei Dank!«, rief sie.
Und in diesem Moment veränderte sich Egberts Gesichtsausdruck so radikal, dass Richard es kaum fassen konnte. Die Angst wich gänzlich, wurde ersetzt von Erstaunen, mit dem Egbert langsam den Kopf wandte und ihn musterte. Dann erschienen in rascher Folge erst Begreifen auf seinen Zügen, schließlich Entsetzen. Und dann rasende Wut.
»Sterner!« Hoch und schrill klang seine Stimme, nicht mehr wie die eines Mannes, sondern wie die eines Irren. »Du bist der Mistkerl, dem sich meine Frau wie eine Hure hingegeben hat?«
Wenn es überhaupt möglich war, dann wurde Katharina bei diesen Worten noch bleicher. Sie wirkte, als würde sie sogleich in Ohnmacht sinken, doch Richard hatte keine Zeit, sich Sorgen um sie zu machen, denn nun riss Egbert sich aus seiner Starre.
Mit einem lauten Wutgebrüll stürzte er auf Richard zu.
»Pass auf!«, schrie Arnulf.
Doch es war bereits zu spät. Mit voller Wucht krachte Egbert gegen Richard und riss ihn von den Füßen.
Hart kam er auf dem Boden auf, und alle Luft wurde ihm aus den Lungen gepresst. Seine alten Verletzungen protestierten mit einem schrillen Schmerz, doch er ignorierte beides und warf den Oberkörper zur Seite.
Die Dolchklinge, die Egbert gegen seinen Brustkorb geführt hatte, schrammte mit einem hässlichen Geräusch über den Steinfußboden. Richard wälzte sich herum, packte sein Schwert, das ihm im Fallen entglitten war. Mit einem Satz kam er zurück auf die Beine.
Egbert jedoch war nicht minder schnell. Geduckt sprang er auf und fixierte Richard mit solcher Kälte und solchem Hass in den Augen, dass Richard langsam das Schwert hob.
Mit Entsetzen sah Katharina zu, wie Egbert sich erneut auf Richard stürzte, wie Richard die schmale Klinge seines Schwertes hob und Egberts nächstem Hieb auswich.
»Ich will Euch nicht verletzen!«, rief er, die Stimme heiser und tief vor Anspannung.
Egbert jedoch reagierte nicht auf diese Worte. Er stolperte an Richard vorbei, schrie voller Zorn auf. Wirbelte herum.
Und griff erneut an.
Und diesmal riss Richard in einer unbewussten Bewegung das Schwert in die Höhe.
Er traf Egbert genau in den Unterleib.
Katharina taumelte. Jemand griff nach ihrem Arm, undeutlich nur nahm sie wahr, dass es Bruder Johannes war.
Und dann sah sie ihren Mann fallen.
Richard zog sein Schwert zurück. Egbert brach vor seinen Füßen zusammen. Und Richards Blick irrte zu Katharina. Erstarrt stand sie da, gehalten von dem Mönch, und blickte auf ihren Mann.
»Egbert!«, kreischte sie.
Ihre Stimme war wie eine Ohrfeige für Richard.
Er sah Katharina vorwärtsstürzen, sah sie neben Egbert niederfallen und mit fieberhafter Hast seinen Körper nach der Wunde absuchen.
»Nein!«, murmelte sie dabei. »Nein! Nein! Nein!«
Sie riss Egberts Hemd auf, schob die Hose ein Stück nach unten, so dass seine Brust und sein Bauch freigelegt wurden. Und dann stöhnte sie auf.
Richards Stich war Egbert in die Leiste gedrungen, ungefähr eine Handbreit neben dem Hüftknochen klaffte eine schmale Wunde, aus der in Stößen hellrot das Blut sprudelte.
In fliegender Eile presste Katharina beide Hände auf die Wunde, doch es nützte nichts: Das Blut quoll unvermindert zwischen ihren Fingern hindurch.
Richard hatte genügend Menschen seziert, um zu wissen, was das regelmäßige Pulsieren des
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