Cherubim
Haus!
»Natürlich!« Er kam zum Lettner, blieb neben Katharina stehen und betrachtete das Seil. »Das sieht haltbar aus!«
Er zog seinen Dolch, eine kurze, gedrungene Waffe, mit der sich auch robuste Arbeiten durchführen ließen, und bedeutete Katharina, ein Stück zur Seite zu treten. Dann begann er, an der Verschnürung herumzusäbeln.
Wie er vermutet hatte, dauerte es eine ganze Weile, bis die ersten Fasern fielen. Ungeduldig trat Katharina von einem Bein auf das andere, bis Egbert es endlich geschafft hatte. Das Seil glitt zu Boden.
Egbert stieß die Pforte auf, und Katharina drängte sich an ihm vorbei durch den Lettner.
»Was bildet Ihr Euch ein?«, donnerte eine wütende Stimme.
Hinter dem Chorgestühl trat eine Gestalt hervor und stürzte auf sie zu. Erst kurz vor ihr blieb sie verblüfft stehen. »Frau Jacob?«
Es war Bruder Johannes. Er trug seine weiße Kutte und darüber ein violettes Messgewand.
»Die Priorin!«, rief Katharina aus. »Sie befindet sich in Lebensgefahr!«
Der Mönch glotzte sie an.
»Jemand will ihr ...«
Katharina kam nicht dazu, weiterzusprechen, denn in diesem Moment machte Egbert Anstalten, die Pforte im Lettner zu durchschreiten, und wie ein Racheengel fuhr Bruder Johannes auf ihn zu. »Ihr wagt es nicht, diesen heiligen Boden zu betreten!«, herrschte er ihn an.
»Auf Eurem heiligen Boden befindet sich möglicherweise ein Mörder«, gab Egbert kühl zurück.
Bruder Johannes’ Blick eilte zu Katharina.
Die nickte hastig.
»So kommt!« Bruder Johannes wies zum hinteren Teil des Chores, wo eine schlichte Holztür in die weißgetünchte Wand eingelassen war. Der Eingang zum Kloster.
Wieder wollte Egbert durch den Lettner treten. Wieder fuhr der Mönch ihn an. »Ich sagte, Ihr nicht! Ich werde mit Frau Jacob gehen und nachsehen, ob es der Priorin gutgeht.«
Mit amüsiertem Blick blieb Egbert außerhalb des Chores stehen. »Wie ihr wollt!«
Katharina sah ihn verblüfft an. Warum gab er so rasch nach? Wenn sie tatsächlich recht hatten und sich dort drinnen ein dreifacher Mörder befand, wäre es da nicht besser, wenn Egbert sie begleitete?
Unsicher suchte sie in seinem Blick nach einer Antwort, doch er drückte ihr nur seinen Dolch in die Hand und schob sie vorwärts. »Beeil dich!«, forderte er sie auf. »Sonst kommst du noch zu spät!«
Noch immer zögerte Katharina. Sie nahm den Dolch, aber sie war zu verwirrt, um den ersten Schritt hinein in den Chor zu machen.
»Los doch!«, drängte nun auch Bruder Johannes.
Und dann wurde ihr die Entscheidung abgenommen.
Denn aus dem Inneren des Klosters ertönte der langgezogene Entsetzensschrei einer Frau.
»Dir ist klar«, rief Arnulf, während er neben Richard mit gezogenem Schwert durch die Gassen von Nürnberg rannte, »dass nicht nur diese Nonne in Gefahr ist, wenn Egbert tatsächlich der Mörder ist, oder?«
»Ist das so?« Im Laufen warf Richard einen kurzen Seitenblick auf von Minden, der darauf bestanden hatte, sie zu begleiten.
»Er hatte einen Unfall«, sagte der junge Mann. Er atmete schwer, und der Sprachfehler, den seine Hasenscharte hervorrief, wurde auf diese Weise deutlich hörbar. »Seitdem ist er nicht mehr der Alte. Die Wahrheit ist: Ich weiß nicht, ob er Frau Katharina etwas antun würde.«
Richard blickte wieder nach vorn. Er verspürte eine seltsame Gefühlsmischung. Da war zum einen natürlich die Angst um Katharina. Sie beherrschte ihn nahezu vollständig. Und doch gab es in seinem Innersten auch noch Platz für eine Art grimmiger Zufriedenheit. Wenn sich Egbert tatsächlich als Mörder entpuppte, würde das bedeuten, dass Katharina bald frei sein würde.
Frei für ihn ...
Arnulf knuffte ihn unsanft gegen den Oberarm. »Mach dir nicht zu viele Hoffnungen!«, warnte er, und Richard wusste, dass der Nachtrabe wieder einmal seine Gedanken gelesen hatte.
Der Schrei hing in der Luft und brachte etwas in Katharina zum Erzittern.
Bruder Johannes war ihr bereits einige Schritte voraus, und erst als er die Tür zum inneren Bezirk schon erreicht hatte, löste Katharina sich aus ihrer Erstarrung und folgte ihm.
Hinter der Tür befand sich ein Gang, der schnurgerade nach rechts und links lief.
»Das war nicht die Priorin!«, behauptete Bruder Johannes. »Es klang eher, als habe eine der Nonnen geschrien!« Er schlug den Wegnach links ein, bog um eine Ecke, und schon standen sie in dem Korridor, der Katharina bereits vertraut war und der direkt zu Kunigundes Gemächern führte.
Hier trafen sie
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