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Cherubim

Cherubim

Titel: Cherubim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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Worte hallten in Katharinas Kopf wider, ohne dass sie ihren Sinne begriff, und trotzdem gehorchte sie ihnen. Sie war froh darüber, dass jemand ihr sagte, was zu tun war. Froh darüber, dass sie nicht denken musste, dass sie nur fühlen und sich diesem Abgrund in ihr ergeben durfte.
    Taumelnd kam sie auf die Füße.
    Kunigunde griff nach ihrem Ellenbogen und stützte sie. »Ich nehme sie mit ins Kloster«, sagte sie zu Bruder Johannes. »Sie braucht ein wenig Ruhe, damit ihre Seele gesunden kann. Kümmert Ihr Euch um den Toten?«
    Bruder Johannes nickte. »Natürlich.« Sein Hände nestelten unruhig an seinem Gürtel herum.
    Wilhelm von Hohenheim war nirgends zu sehen.
    Der Griff um Katharinas Ellenbogen wurde fester. Sie spürte, wie sie vorwärtsgeschoben wurde. Etwas in ihr sträubte sich dagegen, etwas wollte hierbleiben, bei Egbert. Doch ein anderer Teil sehnte sich danach, genau das Gegenteil zu tun.
    Sie erlaubte diesem anderen Teil, die Kontrolle zu übernehmen. Willig folgte sie Kunigunde, quer durch den Chor, dann durch die schlichte Holztür an seinem Ende, wo die Priorin sie einen Moment lang stehenbleiben hieß. Dann einen Gang entlang.
    Stille umfing Katharina. Stille, in der sie ihren eigenen Herzschlag hören konnte. Warum war sie am Leben, während Egbert dort draußen lag, tot und bald so kalt wie der Steinfußboden, auf dem sein Körper ruhte?
    »Hier entlang«, hörte sie Kunigunde sagen.
    Und schweigend ließ sie sich tiefer in den inneren Bezirk des Klosters führen.
    »Etwas stimmt hier nicht!«
    Arnulf sprach genau das aus, was Richard bereits die ganze Zeit dachte, und er nickte nachdenklich vor sich hin.
    »Wieso?« Lukas hatte sich zu ihnen gesellt. Mit zusammengezogenen Augenbrauen sah er Bruder Johannes dabei zu, wie er fortfuhr, seine Gebete über dem Toten zu sprechen.
    Richard wurde sich bewusst, dass er noch immer das Schwert in der Hand hielt. Er blickte darauf, sah Egberts Blut daran schimmern.
    Verwirrt schob er die Klinge in die Scheide.
    »Es geht kaputt, wenn du es nicht bald saubermachst«, sagte Arnulf ruhig.
    Richard nickte. »Macht nichts. Ich werde es ohnehin fortwerfen.«
    Arnulf hob ihm eine Hand entgegen. »Du konntest nichts dafür. Er hat dich angegriffen, nicht umgekehrt.«
    »Er war nicht bei Sinnen.« Die Worte fühlten sich in Richards Mund an wie Steine. »Ich hätte es verhindern müssen.« Aber hatte er das überhaupt gewollt? Oder hatte ganz hinten in seinem Geist ihn ein winziger Teufel darauf hingewiesen, dass er das Schwert nur im richtigen Winkel halten musste, um Katharina – um sich selbst – von Egbert zu befreien? Er biss die Zähne so fest zusammen, dass sie anfingen zu schmerzen.
    Arnulf gab ihm einen kräftigen Knuff auf den Oberarm. »Für Grübeleien ist später noch Zeit!«, mahnte er und wandte sich an Lukas: »Ich meinte, dass ich irgendwie das Gefühl habe, dass Egbert ...«
    »... unschuldig war«, fiel Richard ihm ins Wort.
    Arnulf musterte ihn von der Seite her. »Jedenfalls an den Morden, die wir ihm zuerst ankreiden wollten.«
    Lukas’ Augen weiteten sich. »Ihr glaubt, der Doktor war doch nicht der Mörder von Raphael und den anderen?«
    Langsam begannen Richards Gedanken, ihre Arbeit wiederaufzunehmen. »Warum sollte er Krafft töten?«, murmelte er mehr zu sich selbst als zu den anderen. »Er würde sich doch dadurch von seinem Rohstoffnachschub abschneiden.«
    Lukas nickte. »Stimmt! Für seine Medizin brauchte er Raphaels Urin. Wenn er ihn getötet hätte, hätte er das apricum nicht mehr herstellen können!«
    Richard kratzte sich im Genick. »Er wusste, dass er sterben würde, also hat er seine Untaten gebeichtet. Die vergifteten Brunnen im August, der Mord an dem Türmer und an Zeuner.«
    Lukas merkte auf. »Aber nicht die drei Morde an Raphael und den anderen!«
    »Vielleicht hatte er keine Zeit mehr dazu«, warf Bruder Johannes ein. Er schien seine Liturgie beendet zu haben und stand jetzt ein wenig verloren neben der Leiche, als wüsste er nicht so recht, was er mit ihr anfangen sollte.
    Richard schüttelte den Kopf. Er dachte an die Worte, die Egbert mit dem letzten Atemzug ausgestoßen hatte und die wie eine Warnung geklungen hatten.
    Die Priorin.
    Und im gleichen Augenblick wurde ihm eiskalt.
    »Es muss eine schmerzliche Erfahrung für dich sein«, hörte Katharina die Priorin reden. Die Worte kamen ihr vor wie das Gezwitscher eines exotischen Vogels, hinter dem sie irgendeinen Sinn vermutete, den sie sich jedoch nicht

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